Auf dem Hochplateau verweilen
Barbara Bleisch schrieb mit «Mitte des Lebens» eine Philosophie der besten Jahre. Auch ratlos bleiben helfe, im Leben anzukommen, meint die Philosophin. In der Dampfzentrale begegnet sie der Autorin Ariane von Graffenried im lyrisch-philosophischen Dialog.
Der Lai Nair ist ein Hochmoorsee im Engadin, umsäumt von Lärchenwäldern und Felswänden. Nach langer Wanderung auf dem majestätischen Hochplateau angelangt, ist der Moment gekommen, durchzuschnaufen und darüber zu sinnieren, in welche Richtung es überhaupt noch weitergehen soll – und kann: just das zu tun also, was erst möglich wird, wenn der Aufstieg getan, schon viele Schritte gegangen sind – und mehr als die Ahnung am Horizont aufgeht, dass alle Pfade von hier nur noch herunterführen.
Das Eingangsbild des Verweilens auf dem Hochplateau setzt die Stimmung in Barbara Bleischs neuem Buch «Mitte des Lebens». Von hier aus skizziert die «Sternstunde»-Philosophin mit Jahrgang 1973 eine Kartografie des bereits halb gelebten Lebens.
Zelte abbrechen oder achtsam sitzenbleiben?
Alle Zelte abbrechen, in der Beziehung verharren oder mit Achtsamkeit sitzen, um nach dem sozialen Stress der 20er bis 40er endlich das Hier und Jetzt zu erreichen? Die Orientierungspunkte, um die Jahre zwischen 40 und 65 abzustecken, reichen ihr Begleiter*innen aus Philosophie und Literatur.
Leider etwas oft erteilt sie dem abstrakten «wir» das Wort. Die existenzielle Dringlichkeit bleibt da auf der Strecke. Gerade weil ihre Philosophie die Mitte des Lebens als geteilte Erfahrung in den Blick zu nehmen versucht, fehlen Ich und Intimität. Und ja, die Nähe fehlt auch dort, wo der Körper ankommt. Schliesslich erfährt er in den mittleren Jahren grosse Veränderungen. Gerade in weiblichen Biografien. Der «Mitte des Lebens» fehlt der Unterleib.
Nachher gehts nur noch bergab
Und doch, der Gang auf der Hochebene, er lohnt sich: Barbara Bleisch hütet sich, einen Midlife-Ratgeber vorzulegen, vielmehr plädiert sie mit James Baldwin und Hannah Arendt dafür, gemeinsame Sache mit der «Ratlosigkeit» zu machen, sich in die Irre zu begeben.
Gerade hier trifft sie sich mit der beherzten Heldin in Miranda Julys aktuellem Midlife-Roman «All Fours». Das 45-jährige Alter Ego der amerikanischen Autorin und Künstlerin dreht in dem literarischen Road-Trip nochmal ein paar lustige Kurven. Denn nachher gehts eh nur noch bergab. Darin gehen Bleisch und July einig. Die Parallellektüre sei empfohlen.