Auf der Suche nach Müttern und Wünschen
 Minuten Lesedauer

Auf der Suche nach Müttern und Wünschen

Diverses
Veröffentlicht am 13.02.2024
Anais Sommer
 Minuten Lesedauer

An der diesjährigen Ausgabe des Audio- und Podcastfestivals Sonohr ist einiges los. Unter anderem bekommt es Besuch aus Grossbritannien: Die gefeierten Audio-Produzent*innen Phoebe McIndoe und Talia Augustidis verraten, warum Persönliches im Journalismus wichtig ist und was ihnen das Medium Audio bedeutet.

Phoebe McIndoe und Talia Augustidis, Sie sind beide Journalist*innen, Podcaster*innen, Geschichtenerzähler*innen und natürlich Audiokünstler*innen. Sie machen eine Art «Mischmasch» aus Audio, Journalismus und Kunst. Was mögen Sie am Medium Audio?

Phoebe McIndoe: Ich habe lange Zeit Gedichte geschrieben. Aber das war mir teils unheimlich, weil ich meine eigenen Worte arrangieren musste. Mit Audiokunst kann ich immer noch Gedichte schreiben, aber nicht mehr nur mit meinen Worten. Das ist weniger einschüchternd.

Talia Augustidis: Ich habe im Alter von 13 Jahren ebenfalls viel geschrieben, aber das Schriftliche hat mich nie sehr angesprochen. Audio ist persönlicher, da man immer die Intimität der Stimme hat, aber die Privatsphäre ist mit dem Nicht-Gesehen-Werden auch gewahrt. Audio liegt irgendwo zwischen Geschriebenem und Film – das hat mich sehr beeindruckt.

Phoebe McIndoe, Sie bringen die Live-Installation «I Want» ans Sonohr. Gibt es also ein Wunschkonzert?

P.M.: Ein bisschen schon! Zu mir können in einem ersten Teil Leute kommen, und mir von ihren Wünschen erzählen. Diese werde ich aufnehmen und miteinander verweben. Ich freue mich darauf, den Raum im Kino Rex dann in einem zweiten Teil mit den gesammelten Fragmenten zu füllen. Es geht um unsere Begehren: Wir alle denken insgeheim, dass unsere Wünsche trivial sind. Aber in Wirklichkeit sind sie sehr von der Gesellschaft vorgeschrieben und damit viel politischer, als wir glauben.

Image description
Audioproduzent*in, -journalist*in und -künstler*in Phoebe McIndoe. ©Phoebe McIndoe

Talia Augustidis, Sie performen am Sonohr-Festival zum ersten Mal Ihr Projekt «Dead Ends» live – ein Podcast über Ihre Mutter, die starb, als Sie noch ein Kleinkind waren.

T.A.: Es geht mir darin um die Frage, was geschehen kann, wenn wir uns an jemanden zu erinnern versuchen, an den oder die wir uns gar nicht erinnern können. In «Dead Ends» versuche ich, die Bruchteile meiner Mutter zusammenzufügen.

Und wie performt man einen Podcast live?

T.A. : Viel vom Audio bleibt grösstenteils gleich, aber der Teil der Erzählstimme wird laut vorgelesen. Ich vergleiche den Effekt mit dem von Live-Gesang, da es roher und gefühlvoller sein kann als ein aufgenommener und bearbeiteter Podcast.

Image description
Versucht sich in «Dead Ends» an ihre verstorbene Mutter zu erinnern: Talia Augustidis. ©John Williams

Was trieb Ihr Projekt an, Talia Augustidis?

T.A.: Ein Grund war mein Bedürfnis nach Katharsis. Ich wollte «Dead Ends» schon seit mehreren Jahren verwirklichen, aber jedes Mal, wenn ich versucht habe, die Geschichte meiner Mutter zu erzählen, hat sie sich in Luft aufgelöst. Ich beschloss, ihren vielen «halben Geschichten» ein Zuhause zu geben, in dem sie existieren können. Wenn es das nicht gibt, bleibt Unverarbeitetes manchmal im Körper, wo es vor sich hin «eitert» – ich musste die Geschichten entwirren und loslassen.

In Ihrem gemeinsamen Workshop «Telling Personal Stories» plädieren Sie am Sonohr dafür, dass man auch im Journalismus persönlich sein sollte. Warum ist das so wichtig?

T.A.: Journalist*innen sind manchmal etwas blasiert, was die Auswirkungen des Erzählens einer Geschichte für die Betroffenen angeht. Es kann hilfreich sein, diese mal selbst zu spüren zu bekommen. Auch wenn ich selbst dazu neige, Persönliches zu erzählen, und damit wenig Probleme habe, ist es doch immer noch ein bisschen beängstigend, sich in der Rolle der befragten Person wiederzufinden.

P.M.: In meinem Podcast «County Lines» habe ich viel Persönliches verarbeitet – darin geht es um Gangs in Grossbritannien. Mein Bruder war involviert und kommt auch zu Wort. Obwohl ich darin meine persönlichen Überlegungen nicht direkt teile, ist meine Betroffenheit spürbar. Ein persönlicher Bezug beeinflusst die Art und Weise, wie man Menschen interviewt, und die Fragen, die man stellt. Selbst wenn das Persönliche nicht direkt «sichtbar» ist, schafft es einen unsichtbaren Behälter für die Geschichten anderer Menschen – das finde ich sehr wichtig.

Sonohr Radio und Podcast Festival: Diverse Orte, Bern. Fr., 23.2. – So., 25.2.

«I Want – Part 1: Interaction»: Kino Rex, Bern. Sa., 24.2., 15.15 und 17.15 Uhr

« Deads Ends»: Kino Rex, Bern. Sa., 24.2., 20 Uhr

« I Want – Part 2: Listening Session » : Kino Rex, Bern. Sa., 24.2., 21.15 Uhr

« Telling Personal Stories » : Kino Lichtspiel, Bern. So., 25.2., 10 Uhr

Artikel des/derselben Autor:in
Anais Sommer
Freie Autorin

BKa abonnieren

Dieser und unzählige weitere Artikel sind auch in gedruckter Form erhältlich. Die Berner Kulturagenda erscheint zweiwöchentlich und beleuchtet das Berner Kulturgeschehen.