Bittermann gibt den Ton an Nº13 – Sie macht Anti-Klassik
Simon Bittermann hat ein Gehör für gute Noten. Der Journalist und Musikkritiker ist auch Musikalienhändler beim «Notenpunkt», wo er das Sortiment und den Einkauf verantwortet. Für die BKa hört er schon mal vor, welche Klassiker bald in Berns Konzertsälen ertönen. Zum Beispiel Schostakowitschs Klaviertrio, op. 67 und mehr.
Es gibt etwas Grundsätzliches, das mich am Klassikbetrieb stört. Standardmässig sehen Konzerte nämlich so aus, dass alte Stars oder neue Sternchen die immer gleichen Klassiker spielen. Problematisch daran ist, dass der Fokus so auf das bessere oder schlechtere Treiben dieser Stars und Sternchen gerichtet wird, statt auf das Wesentliche – die Musik. Diese wird als etwas selbstverständlich Gegebenes betrachtet, etwas Perfektes und Zeitloses. Als «Klassiker» eben.
Dabei entsteht Musik doch immer zu einer bestimmten Zeit, in einem gesellschaftlichen und politischen Umfeld – und wird von Menschen geschrieben. Zumeist von solchen mit einem feinen Gespür für ihre Umwelt. Ihre Musik zielt also nicht auf eine Ewigkeit, sondern reflektiert direkt oder indirekt die Welt, aus der sie stammt. Und selbst Komponist*innen mit dem Kopf im Himmel stehen und standen fest auf dem Boden.
Vielleicht wurde Patricia Kopatchinskaja als barfuss spielende Violinvirtuosin bekannt, weil sie so die Erdverbundenheit der Musik besser spüren kann. Aber ich spekuliere. Auf jeden Fall habe ich immer sehr geschätzt, wie unselbstverständlich sie sich den Werken der Musikliteratur nähert – wie sie versucht, sie eben nicht als Klassiker zu sehen und zu spielen. Deshalb ist Kopatchinskaja die perfekte Wahl fürs Gstaad Menuhin Festival, wo sie den Zyklus «Music for the Planet» bespielt. An zwei Abenden untersucht sie den Zustand der Welt. Texte von Franz Hohler gesellen sich am ersten Konzert zur planetarischen Klassik.
Im Zentrum des Programms namens «Unauffälliger Rebell» steht jedoch der Komponist, dessen Musik am untrennbarsten mit den Umständen ihrer Entstehung verbunden ist. Denn Dmitri Schostakowitschs Werk ist schlicht unverständlich, wenn man nichts von seinem Leben unter Stalins Terror weiss. Wobei Schostakowitsch im Lauf seines Lebens viele Gesichter hatte. Da gab es zum Beispiel den jungen, modernistischen Streber, der sich der Welt beweisen wollte. Oder den Schöpfer eines Spätwerkes, das sich irgendwie immer um das Thema Tod drehte. Am bekanntesten ist natürlich jener Schostakowitsch, der sich verklausuliert mit dem Leben in der stalinistischen Sowjetunion auseinandersetzt: Gewalt, Trauer und Ironie prägen dessen Musik.
Am besagten Konzert wird aber ein Werk gespielt, das irgendwie nicht in diese Schemata passt: die Cellosonate, op. 40 von 1934 hat zwar auch ironische, ja gar sarkastische Passagen. Insgesamt aber überwiegt der Eindruck des Cantabile. Noch wird nicht jeder Anflug von Hoffnung abgewürgt und noch nicht jeder Traum zerstört. Einfach nur schön. Die Cellistin Sol Gabetta und der Pianist Francesco Piemontesi nehmen sich dieser Trouvaille der Celloliteratur an. Daneben spielen die beiden Claude Debussys unfassbare Cellosonate. Bei Schostakowitschs zweitem Klaviertrio, op. 67 spielt Kopatchinskaja mit. Er widmete es dem Andenken seines früh verstorbenen besten Freundes Iwan Sollertinski. Und ja, das klingt genauso, wie Sie vermuten.