Bittermann gibt den Ton an Nº7 – zu Ostern ein Biss ins Ohr
Simon Bittermann hat ein Gehör für gute Noten. Der Journalist und Musikkritiker ist auch Musikalienhändler beim «Notenpunkt», wo er das Sortiment und den Einkauf verantwortet. Für die BKa hört er schon mal vor, welche Klassiker bald in Berns Konzertsälen ertönen. Zum Beispiel Mascagnis ewiger Einakter.
Müsste ich wetten, was meine chorsingenden Freund*innen an Ostern so treiben, würde ich sicher den Jackpot knacken. Matthäus-Passion ist mein todsicherer Tipp. OK, manche Kirchenchöre weichen auch ein wenig vom Skript ab und widmen sich stattdessen Bachs anderem Meisterwerk, der Johannes-Passion. Die Stichworte «Bach» und «Passion» poppen zu der Jahreszeit aber auf jeden Fall ähnlich gehäuft auf wie «Eier» und «Hase».
Das möchte ich auch gar nicht kritisieren, denn gerade deshalb singt man ja in einem Chor – um mindestens einmal im Leben aktiv dabei sein zu dürfen, wenn Bachs unfassbar bewegende Musik Jesus auf seinem Leidensweg ans Kreuz geleitet. Als jemand, der von Berufs wegen Konzerttipps gibt, komme ich aber regelmässig in Verlegenheit. Was, um Himmels willen, gibt es denn sonst noch? Ein bisschen Eifersuchtsdrama unter sizilianischer Sonne vielleicht, ein wenig Mafiagehabe? Und wenn es schon einen unabwendbaren Mord geben soll: Wieso nicht einen, der keiner göttlichen Vorsehung, sondern einem Biss ins Ohr folgt?
Wenn meine Überlegungen jetzt wie die gedanklichen Hakensprünge eines wilden Hasen daherkommen, so hat das durchaus einen Grund. Seit ich gesehen habe, dass der Oratorienchor Bern zu Ostern Pietro Mascagnis Cavalleria rusticana konzertant aufführt, fühle ich mich herausgefordert. Was hat Mascagnis Operneinakter um enttäuschte Liebe und Betrug mit der Ostergeschichte gemein? Ausser, dass er am Ostermorgen spielt? Im Fernsehsessel vor der Glotze kam mir die Erleuchtung: Francis Ford Coppola wies mir den Weg. Dort nämlich, im dritten Teil der «Godfather-Trilogie», entwickelt sich der Showdown während einer Aufführung der Cavalleria. In diesem Film wird insgesamt gleich zweimal in ein Ohr gebissen, was auf Sizilien so viel bedeutete wie den Fehdehandschuh zu werfen. Einmal in der Filmhandlung und einmal auf der Opernbühne, und beide Male folgt der gewaltsame Tod auf dem Fusse. Und da sah ich die Parallele zu Ostern: Es ist eben die Unausweichlichkeit des Todes derjenigen, die gezeichnet wurden.
Die Fortsetzung, also die Auferstehung, fällt bei Mascagni dann natürlich weg. Aber das ist bei Bachs Passionen ja auch so. Auf jeden Fall kann ich das Konzert des Oratorienchors nun guten Gewissens zu Ostern empfehlen. Die Programmidee ist zwar aussergewöhnlich, aber nicht allzu weit hergeholt. Zumal die Oper selbst ein Unikum ist. Geschrieben 1889 für einen Wettbewerb des Mailänder Musikverlages Sonzogno, gewann sie nicht nur den ersten Preis, sondern avancierte daraufhin innerhalb von zwei Jahren zum Welthit, einem der grössten Erfolge der Musikgeschichte überhaupt. Ein historisch einmaliger Vorgang, der sich auch für Mascagni selbst nicht wiederholte. Denn auch wenn er bis zu seinem Tod 1945 fleissig komponierte, 1915 gar zu einem der ersten Filmkomponisten wurde, so bleibt er für die Nachwelt stets einfach derjenige, der die Cavalleria rusticana geschrieben hat. Und lebt damit auf gewisse Weise auch ewig.
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