BKa N°9 – Szanto macht Transzendenzerfahrungen und Bierspiele
Stephanie Szanto ist vielfältig: Die Berner Mezzosopranistin, Komponistin und Produzentin teilt die Bühne mit den grossen Orchestern, mag aber auch Jazz, Jodeln und R 'n' B. Mit ihrem Duo The High Horse nimmt sie sich missglückten Bravo-Hits an. Der BKa gibt sie Klassik-Tipps, die sich auch mal abseits der Konventionen bewegen.
Würden Sie sich manchmal auch gerne eleganter und eloquenter ausdrücken, als Sie es in Wirklichkeit tun? Dann gehts Ihnen wie mir dieser Tage. Selten war mir so oft (und leicht beschämt) bewusst, wie viele wenig erlesene (Fluch)Wörter mir so aus dem Mund fallen. Dies wurde mir besonders deutlich, als mein Kumpel in Kontrast dazu begann, des Öfteren sein neues Lieblingswort «transzendent» einzustreuen.
Zuerst spielte ich noch belustigt eine Art inneres Trinkspiel bei jeder Erwähnung des Begriffs, doch mit der Zeit gewann ich die Einsicht: Er hat recht, es ist wirklich vieles gerade sehr transzendent, also das rein Weltliche und Fassbare übersteigend!
Nicht zu verwechseln ist dieser Befund mit dem Kant'schen «transzendental», einem Begriff aus der Erkenntnistheorie, der jene vorbegrifflichen (und unbegreifbaren) Voraussetzungen meint, die vor jeder Erkenntnis liegen. Sie merken: das Ganze geht über das Level eines philosophischen Biergesprächs weit hinaus. Laut meiner «Recherche» ist das Wort «transzendent» oder der dazu passende Zustand allerdings durchaus mit einer leichten Trunkenheit verwandt. Somit schliesst sich auch der Kreis zu meinem Trinkspiel. Woher unsere philosophischen Anflüge kommen, wissen wir auch nicht so genau. Vielleicht liegt ja auch irgendetwas Transzendentes in der Luft. Mit Blick auf das aktuelle Berner Klassikprogramm lässt sich feststellen, dass wir mit dieser Ahnung nicht allein sind.
1 – «Sobald wir in dieses Universum hineinkatapultiert werden, befinden wir uns auf einer kontinuierlichen Reise, in ständigem Wandel.» Dies schreibt Geigerin Suyeon Kang von der Camerata Bern über ihr neues Programm «On the road» (Zentrum Paul Klee, Bern. Sa., 24., und So., 25.5., 17 Uhr) . Vom Heimkommen und Reisen erzählen die ausgewählten Werke von Luigi Boccherini (Streichquintett in C-Dur, op. 30), Alfred Schnittke (Streichquartett Nr. 3) und Johann Sebastian Bach (Präludium Nr. 8, 15 und 16) und Joseph Haydn (Violinkonzert in G-Dur Hob.VIIa:4).
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2 – Auch er, einer der Helden meiner Kindheit, befand sich auf einmal auf einer transzendentalen Reise: Nils Holgersson. Im Rahmen des Familienkonzertes widmet sich das Berner Symphonieorchester unter der Leitung von Anne Hinrichsen und in Zusammenarbeit mit Sprecherin Lucia Kotikova dem schwedischen Märchen von Selma Lagerlöf. Mit viel Liebe entstand das Orchestermärchen mit Musik von Andreas N. Tarkmann (Stadttheater Bern. So., 18.5., 16 Uhr) . (Ausverkauft, Restkarten an der Kasse)
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3 – Und nun zu einem ganz besonderen Werk. Die Kinderoper «Brundibár» hatte der tschechische Komponist Hans Krása um 1938 von und für Kinder entworfen: Aninka und Pepíček wollten wie der Leiermann Brundibár singen, um mit dem verdienten Geld ihrer kranken Mutter zu helfen. Nur mit der Hilfe von vielen Kindern und einer List gelingt ihnen ihr Plan. Kathrin Elmiger inszeniert mit dem Kinderchor der Bühnen Bern diese berührende Oper, die auch ein erschütterndes Zeitdokument ist. Die Uraufführung fand nach Kriegsausbruch nur behelfsmässig statt, da viele Kinder des jüdischen Waisenhauses in Prag bereits deportiert worden waren – und nun im Chor fehlten. Die grossen Aufführungen fanden zum Trost und Zusammenhalt der Menschen im Konzentrationslager Theresienstadt statt (Vidmar 1, Liebefeld. Premiere: Sa., 24.5., 18 Uhr. Aufführungen bis Do., 12.6.) .
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4 – Ebenfalls von einer Wiederentdeckung handelt meine letzte Empfehlung: Im Programm «Adieu et retour» des Sinfonieorchesters Biel Solothurn wird unter anderem die französische Komponistin, Musikwissenschaftlerin und Komponistin Louise Farrenc (1804–1875) nach ihrer Wiederentdeckung geehrt (Kongresshaus Biel. Mi., 21.5., 19.30 Uhr) . Dies mit der energiegeladenen Sinfonie Nr. 2 in D-Dur. Zu Beginn darf man Philip Glass' wahrhaft transzendent klingendes 2. Streichquartett (in Bearbeitung für Streichorchester) geniessen sowie Mieczysław Weinbergs faszinierendes Konzert für Flöte und Streichorchester Nr. 1. Solistisch ist Flötistin Polina Peskina zu erleben. Die musikalische Leitung hat Anna Sułkowska-Migoń.
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P.S. Das Trinkspiel kann übrigens auch beim Lesen dieser Kolumne weitergespielt werden.