Den Troubles zum Trotz 
 Minuten Lesedauer

Den Troubles zum Trotz 

Film
Veröffentlicht am 31.05.2024
Susanne Leuenberger
 Minuten Lesedauer

Mit «Irish Ways» zeigt das Kino der Reitschule Filmschaffen aus Irland. Der jahrzehntelange Bürgerkrieg in Nordirland wird im Autorenfilm zum spannungsgeladenen Erzählstoff: Das ermöglicht unter anderem ein Wiedersehen mit Daniel Day-Lewis als gewaltmüder und lebenshungriger Kämpfer in Jim Sheridans Film «The Boxer», aber auch eine Begegnung mit dem jungen Cillian Murphy als transsexuelle Kitten in Neil Jordans «Breakfast on Pluto». Eigentlich auf Muttersuche, kommt Kitten auch mal dem bewaffneten Kampf irischer Unabhängigkeitsaktivisten in die Quere.

Als Danny Flynn nach 14 Jahren das Gefängnis verlässt, findet er sich nicht wirklich in Freiheit wieder: Das Belfast der frühen 90er-Jahre, in dem sich Daniel Day-Lewis als der frisch entlassener Häftling im Drama «The Boxer» zurechtfinden muss, ist von Stacheldraht und Barrieren durchzogen und Helikopter dröhnen über der zerrissenen Stadt. Der gewaltbereite Kampf um Unabhängigkeit, der ihn mit 19 ins Gefängnis brachte, hat Nordirland nach wie vor im Griff.

Doch will Danny, der ehemalige Boxchampion, nichts mehr vom bewaffnetem Widerstand wissen. Während der Gefangenschaft übte er sich im Schattenboxen – und träumte von Maggie, seiner Jugendliebe, die er zurückliess. Nun will er sein Leben als Boxer und Maggie zurück. Aber weder der Sport noch die Liebe haben auf ihn gewartet. Maggie hat Dannys besten Freund geheiratet (ein IRA-Aktivist, und auch der sitzt gerade), der einstige Boxclub ist längst Geschichte. Und seine alten Freunde goutieren Versöhnlichkeit mit der protestantischen Seite nicht.

Gefühlen lässt er nur im Boxring freien Lauf

Ob das ein gutes Ende nimmt? Das bezweifeln so ziemlich alle Figuren im Film. Und so bewegt sich Danny Flynn, der ein Boxzentrum, offen für Katholiken und Protestanten, eröffnet, in ständiger Habachtstellung durch Jim Sheridans Drama. Auch wenn der Film aus dem Jahr 1997 simpel aufgebaut ist und die Figuren allzu idealisiert (hier der moralisch integre Danny, da die skrupellosen IRA-Heisssporne): Es ist eine Leibrolle für Daniel Day-Lewis, der den aufrechten Kämpfer mit einer kontrollierten Verhaltenheit gibt, die elektrisiert.

Gerade sein Schweigen – die Jahre im Knast haben ihn wortkarg gemacht – und die stets geduckten Schultern, die seinen durchtrainierten Körper in Zaum halten, erzeugen eine fesselnde emotionale und erotische Energie. Die keusche Zurückhaltung, mit der er und die hinreissend hin- und hergerissene Maggie (grossartig gespielt von Emily Watson) sich begegnen, ist auch beim Zuschauen fast nicht auszuhalten. Einzig in den blutigen und schweissgebadeten Szenen im Boxring lässt Danny seinen Gefühlen und seinen Energien freien und schmerzhaften Lauf. 

Image description
Daniel Day-Lewis als «The Boxer» im Ring. © Universal Pictures

Das Belfast des Bürgerkriegs im Porträt

Mehrere Jahre trainierte Day-Lewis, für sein Method Acting bekannt, mit der irischen Boxlegende Barry McGuigan, dessen Biografie als lose Vorlage für «The Boxer» diente. McGuigan soll gesagt haben, dass Day-Lewis durchaus das Zeug zum Weltklasseboxer gehabt hätte, hätte er bereits mit 20 damit begonnen.

Authentisch ist aber nicht nur das Schauspiel von Day-Lewis, sondern auch Sheridans Porträt von Belfast im Bürgerkrieg. Zu sehen ist es in der Filmreihe «Irish Ways» des Kino in der Reitschule, das mit «In the Name of the Father» (1993) ein weiteres, früheres Nordirlanddrama von Jim Sheridan, ebenfalls mit Day-Lewis in der Hauptrolle zeigt. Da spielt letzterer den Kleinkriminellen Gerry Conlon, der irrtümlicherweise für ein IRA-Attentat verurteilt werden soll. 

Die «Troubles», wie die Nordirlandkonflikte zwischen 1969 und 1998 genannt werden, sie sind auch wiederholt der Hintergrund von Neil Jordans Filmen. So etwa im romantischen Thriller «The Crying Game» aus dem Jahr 1992, in dem ein IRA-Entführer und seine dem Tod geweihte Geisel sich emotional annähern. Mit weitreichenden Folgen für den überlebenden Geiselnehmer und die hinterbliebene transsexuelle Partnerin des Opfers. Für das Drehbuch mit den überraschenden Twists gab es den Oscar, in die Filmreihe im Kino der Reitschule hat es das bemerkens- und sehenswerte Drama mit Stephen Rea als Ex-IRA-Komplize und mit dem beeindruckenden Leinwanddebüt von Jaye Davidson in der Rolle der hinterbliebenen Dil aber leider nicht geschafft.

Kitten stöckelt durch den Londoner Untergrund

Doch Neil Jordan bleibt den «Troubles» und transsexuellen Figuren auch im gezeigten «Breakfast on Pluto» treu. Die erfrischend leichte Tragikomödie aus dem Jahr 2006 lebt vom umwerfenden Schauspiel des jungen Cillian Murphy. Hier stöckelt er, lange bevor er jüngst in «Oppenheimer» den moralisch verzagten Vater der Atombombe gab, in den High Heels und im Plüschmantel der Patricia Kitten Braden durch den Londoner Untergrund der 1970er-Jahre. Mal singt sie auf der Bühne, mal assistiert sie bei Zaubertricks, oder schafft auf der Strasse an. In der englischen Metropole macht sich die irische Kitten auf die Suche nach der leiblichen Mutter, die sie nur vom Hörensagen kennt.

Image description
Der irische Schauspieler Cillian Murphy in der Rolle der Patricia Kitten Braden. © Sony Pictures

«Phantom Lady» nennt Kitten ihre «Mummy» – und auch ab und zu sich selbst mit Falsettstimme. In 36 Episoden rollt der Film die biografische Odyssee des Findelkinds Patrick auf, das eines Tages in einem Weidenkorb vor der Türschwelle von Father Liam im erzkatholischen Nordirland der 1960er-Jahre vorgefunden wird. Die lieblose Pflegemutter quittiert Patricks Vorliebe für Lippenstift und Stöckelschuhe mit Höllenandrohungen, die der vorwitzige Teenager mit Augenrollen entgegennimmt.

Und so kommen Patrick, oder bald Patricia, zwar einige Troubles in die Quere, doch das Leben ist ihrem Charme erlegen. Mal findet sie ein IRA-Waffenlager im Liebesnest, das ihr Glam-Rocker Billy Hatchet eingerichtet hat, und verärgert die Aktivisten, weil sie die Gewehre im nahen See versenkt, dann explodiert eine Bombe im Londoner Dancing – und Kitten tanzt mittendrin mit einem britischen Soldaten, der eben aus dem nordirischen Ulster zurückkehrte.

Dann explodiert eine Bombe im Londoner Dancing – und Kitten tanzt mittendrin mit einem britischen Soldaten, der eben aus dem nordirischen Ulster zurückkehrte.

«Serious serious serious»

Doch Kitten kommt, im Gegensatz einiger ihrer ebenso wunderbar bunten Freund*innen, mit blauen Augen davon. Und auch wenn sie immer wieder «serious serious serious» säuselt, so richtig böse und richtig serious ist in dem Film niemand, nicht einmal die Cops, die sie wegen Verdacht auf Terror in U-Haft nehmen. Kitten findet am Ende zwar nicht unbedingt die Mutter, aber sich und den Father – denn auch eine Peep Show ist mal ein Beichtstuhl.

«Breakfast on Pluto» haftet ein bisschen etwas von der verstaubten Plüschigkeit von «Harald and Maude» an – den ernsten Troubles zum Trotz. Dennoch sollte man Cillian Murphys Schauspiel nicht verpassen. Und Feel-Good-Momente gibts im Arthouse-Kino wie auch im Leben meist zu selten.  

// Kino in der Reitschule, Bern

Filmreihe bis Fr., 21.6.

  • «The Boxer»: Fr., 7.6., 20 Uhr
  • «Breakfast on Pluto»: Sa., 8.6., 20 Uhr
  • «In the Name of the Father»: Sa., 15.6., 20 Uhr

www.kino.reitschule.ch

Artikel des/derselben Autor:in
Susanne Leuenberger
Susanne Leuenberger
Redaktionsleiterin

BKa abonnieren

Dieser und unzählige weitere Artikel sind auch in gedruckter Form erhältlich. Die Berner Kulturagenda erscheint zweiwöchentlich und beleuchtet das Berner Kulturgeschehen.