Der Gang vor die Hunde
Regisseur Max Merker macht mit der Kästner-Inszenierung «Fabian» eine Zeitreise in eine nicht ganz fremde Vergangenheit. Das Theater Orchester Biel Solothurn wird zum schillernden Berlin der 1920er-Jahre. Protagonist Fabian versucht im Strom zu schwimmen und droht zu ertrinken.
«Soll ich mitmachen oder zuschauen? Hinsehen oder hingehen? Soll ich oder soll ich nicht?» Diese Fragen quälen Fabian zu Beginn und spiegeln bereits seine zerrissene Haltung wider. Der Zwiespalt des Protagonisten entspringt der turbulenten Ära im Berlin der 1920er-Jahre. Die Weimarer Republik ist am Ende, der Nationalsozialismus erscheint am Horizont. Auch die Gesellschaft ist im Krisenmodus. Der Antiheld Fabian ist ein Werbetexter und versucht vor allem eines: an der Oberfläche zu schwimmen.
Die Inszenierung «Fabian» basiert auf dem gleichnamigen, 1931 erschienenen Roman von Erich Kästner. Der deutsche Schriftsteller, Publizist, Drehbuchautor und Kabarettdichter verarbeitete in seinen Arbeiten seine sozialkritische und antimilitaristische Gesinnung, was letztlich dazu führte, dass seine Bücher 1933 von den Nationalsozialisten verbrannt wurden. Kästner sah dabei zu, er blieb in Deutschland und wurde zum stummgemachten Zeugen.
Zeitlose Warnung
Im Vorwort, das 25 Jahre später publiziert wurde, beklagte Kästner, dass sein Roman missverstanden worden sei. «Fabian» sei durchaus ein moralisches Buch und als Satire zu verstehen. Kästner hatte dabei eine klare Absicht vor Augen: Er wollte warnen.
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Regisseur Max Merker bleibt in seiner Inszenierung für das Theater Orchester Biel Solothurn (TOBS) nahe am Original. Minimale Aktualisierungen entstehen laut Merker dabei vor allem durch die Spielenden auf der Bühne, indem sie dem Stoff ihren eigenen Ausdruck verleihen und zum Leben bringen.
Max Merker, 1976 in München geboren, ist freischaffender Schauspieler, Regisseur und Produzent. Im Raum Bern ist er kein Unbekannter: Nach seiner Zeit als festes Ensemblemitglied kehrt er mit «Fabian» wieder ans TOBS zurück, wo er bereits «Animal Farm» und «Kafka in Farbe» inszenierte. In Kooperation mit der Heitere Fahne und Bühnen Bern brachte er unlängst «La Strada» auf die Wanderbühne.
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«Wildes Karussell»
Der Schauspieler Aaron Hitz verkörpert den Fabian und ist dabei der Einzige, der die Rolle nie wechselt. Im Gegensatz dazu sind die anderen drei Spielenden Johanna Köster, Maximilian Kraus und Milva Stark im stetigen Rollenwechsel, da der Roman um die dreissig Figuren vorführt. Milva Stark schlüpft beispielsweise in acht verschiedene Rollen. Diese Spielweise entspreche der gewünschten Darstellung: «Ein wildes Karussell mit lauter glitzernden Figuren und Typen. Von aussen sieht es faszinierend aus, wenn man aber darauf sitzt, dreht es zu schnell, um wieder abzuspringen», so Max Merker im Gespräch mit dem Dramaturgen Martin Bieri. Passend dazu hat der Bühnenbildner Damian Hitz zwei rotierende Scheiben konzipiert, um die schnellen Wechsel zu realisieren.
Der Stoff «Fabian» beweist trotz seines Alters Aktualität und führt Parallelen zum Heute vor Augen. Fabians Ausspruch «Wer ein Optimist ist, soll verzweifeln» dürfte vielen auch als Motto der Gegenwart gelten. Es spiegelt das Verlorensein in einem System wider, in dem wenig Sinn ergibt. Ein Ertrinken darin ist nicht fern.
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