Die sanfte Diva
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Die sanfte Diva

Klassik Musik Workshop
Veröffentlicht am 13.08.2024
Susanne Leuenberger
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Gambenstar Lucile Boulanger besucht die Bachwochen Thun: Ihr intimes Rezital «Bach und Abel» offenbart die vielstimmige Sinnlichkeit der Alten Musik.

Als Lucile Boulanger vier Jahre alt war, verliebte sie sich. «Ich sass mit meinen Eltern in der barocken Kirche und hörte diese wunderbare Alte Musik. Ein Musiker spielte ein ganz eigentümliches Saiteninstrument.» Sie war elektrisiert von dem fesselnden Spiel voller Obertöne, das dem Cello-ähnlichen Instrument entströmte. Es war eine Viola da Gamba. Lucile Boulangers Liebe zu dieser sanften Diva unter den Streichinstrumenten hält bis heute an.

Die Französin, die lange auch als Schauspielerin und Sprecherin tätig war, ist längst ein Star der Alten Musik. Ihr leidenschaftliches und begnadetes Spiel, das ihr Vergleiche mit der legendären Cellistin Jacqueline du Pré einbrachte, erprobt die Möglichkeiten der Gambe bis aufs Äusserste und tritt dabei in ein intimes Verhältnis mit der Alten Musik. Ob im Ensemble, im Konsort-Spiel, bei dem Gamben in unterschiedlichen Stimmlagen miteinander harmonieren – oder solo.

Berührend zerbrechlich

Boulanger zaubert mit der akkordischen Vielfalt, die sie aus dem Instrument mit den fünf bis sieben Seiten hervorlockt. «Bei all dieser Vielseitigkeit ist da gleichzeitig eine Zerbrechlichkeit, die ans Innerste rührt, wie es keine noch so ausgeklügelten Instrumente oder Maschinen können», meint sie selbst dazu.

Ihr eben erschienenes Album «The Golden Hour» ist eine Sammlung selten gespielter Sonaten der französischen Barockkomponisten Jean-Marie Leclair, Joseph Bodin de Boismortier und Jean-Féry Rebel. Darauf legt ihre Gambe den zärtlichen und manchmal auf doppelten Boden für die Violine und das Cembalo ihrer Kollegen Simon Pierre und Olivier Fortin.

Doch am innigsten ist ihr Spiel solo, wenn Lucile Boulanger sich auf der polyphonen Gambe selbst begleitet. So auch beim Rezital, das die Ausnahmemusikerin an den Bachwochen Thun geben wird. Mit ihrem Programm «Bach-Abel» tritt sie dazu in eine sinnliche Intimität mit den beiden Komponisten Johann Sebastian Bach und Carl Friedrich Abel.

Ménage-à-trois mit Bach und Abel

Es sei dieses bereits Romantische in der Schönheit der Melodien und dieser Ausdruck einer «sehr persönlichen Sensibilität», die Abel und Bachs Musik verbinde, erklärt Boulanger ihre Faszination. Und von atemberaubender Feinfühligkeit und koloraturreichen Tiefe ist auch ihre eigene Annäherung an Bach und Abel. Fast so, als träte sie, die Nachgeborene, in eine Ménage-à-trois mit den zwei Komponisten, die sich im Leben durchaus begegneten. So kreuzten sich die Wege der Musikerfamilien Abel und Bach über Generationen hinweg immer wieder. Carl Friedrich Abels Vater war «Premier-Musicus» in der Hofkappelle von Johann Sebastian Bach. Und womöglich war Sohn Carl Friedrich vor seiner Übersiedlung nach England eine Weile gar Schüler des fast 40 Jahre älteren Bach.

In London spielte Abel dann zusammen mit Bach-Sohn Johann Christian in adligen Salons. Als Kammermusiker am englischen Hof von Königin Charlotte ging Abel als der letzte grosse Gambist in die Geschichte ein, danach verschwand die Gamba da Viola aus den Orchestern und ging auch als Soloinstrument vergessen. Abels Werke blieben erhalten. Er schrieb neben Sinfonien, Ouvertüren und Streichquartetten auch Solos für Gamben, die Boulanger nun spielerisch neu auslotet. Auch Bach komponierte für die Gambe, nie aber Solos.

Ein «fast animalischer Zustand»

Boulanger arrangierte Bachs Cellosolos für ihr Instrument neu: «Ich ging viele seiner Solosuiten durch, um solche zu finden, die mit Abels Musik in Sympathie-Resonanz stehen», erklärt sie. Dabei ging sie bei der Transkription auch Risiken ein: «Ich wagte es, Akkorde aufzuschreiben, ohne zu wissen, ob meine Hand jemals damit fertig werden würde.» Sie tat es.

2022 spielte sie das Programm ein. Die Aufnahmen fanden nachts im menschenleeren Kloster Noirlac im französischen Centre-Val-de Loire statt. Sie sei dabei in einen «fast animalischen Zustand» geraten, in dem sie ungeahnte Ressourcen entdeckte. Das liess sie an den trunkenen Zustand denken, in dem der Gambist Abel offenbar selbst seine schönsten Konzerte gegeben haben soll. In der romanisch-atmosphärischen Kirche Amsoldingen dürfte Lucile Boulangers Konzert auch dem Publikum einige Ausser-sich-Momente bescheren.

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Das Arsen Petrosyan Quartett interpetiert Bachs Sakralmusik auf armenischen Instrumenten. © Lyuda Avagyan

Bachwochen Thun

Die Bachwochen Thun sind eine vielfältige Feier der Alten Musik. Der künstlerische Leiter Vital Julian Frey programmiert gern unerwartet und geht auch Wagnisse ein. Neben dem Gambenrezital von Lucile Boulanger gehört der Auftritt des armenischen Arsen Petrosyan Quartetts zu den Highlights des Festivals. Der weltbekannte Dudukspieler Arsen Petrosyan und sein Ensemble treffen im Programm «Duduk meets Bach» auf das Orgelspiel von Frey. Mit der Duduk, einem an Oboe oder Klarinette erinnernden, diatonischen Blasinstrument mit zwei Rohrblättern, der hackrett-artigen Santur, dem Zitterinstrument Qanun und Perkussion interpretieren die Musiker*innen neben armenischer Sakralmusik auch geistliche Choräle, Toccaten und Fugen von Bach. Die Orgel ist bei «Duduk meets Bach» das verbindende Element. Dieses Zusammenspiel und das Bach-Arrangement für die orientalischen Instrumente seien eine Premiere in der Musikgeschichte, meint Vital Julian Frey.

// Diverse Orte rund um Thun. So., 25.8., bis So., 8.9.

  • «Bach und Abel»: Kirche Amsoldingen. Sa., 7.9., 18.45 Uhr (Pre-Konzert Gamben-Konsort mit den Gambenschüler*innen des Konsi Bern: 17.30 Uhr)
  • «Duduk meets Bach»: Kirche Amsoldingen. So., 1.9., 18.45 Uhr und 20 Uhr (Zusatzkonzert)
  • Öffentlicher Workshop Duduk: Oboenschüler*innen der Musikschule Region Thun treffen auf Arsen Petrosyan und Bridget Greason-Sharp. Musikschule Region Thun. Sa., 31.8., 10 Uhr

www.bachwochen.ch

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Susanne Leuenberger
Susanne Leuenberger
Redaktionsleiterin

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