Wucht in der Zurückhaltung
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Wucht in der Zurückhaltung

Literatur Im Gespräch
Veröffentlicht am 16.12.2024
Tabea Andres
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Dimitri Grünig präsentiert im Ono die bebilderte Erzählung «Aber schwul bin ich immer noch» über einen queeren Protagonisten, der sich in einem religiösen Umfeld einer «Konversionstherapie» unterzieht.

Ein kleines Buch, in braunes Kunstleder gefasst. Was an eine Reisebibel erinnert, entfaltet sich als verstörendes Zeugnis: Für sein Debüt tauchte der Berner Autor und Illustrator Dimitri Grünig tief in die Welt der «Konversionstherapien» ein – jene sogenannten «Heilungsprogramme», die Homosexualität als Krankheit stigmatisieren.

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Ausschnitt aus dem Buch «Aber schwul bin ich immer noch». © Dimitri Grünig

Sexuelle Identität «wegbeten»

«Ich glaube, dass diese Organisationen, die Menschen hinter ihnen, im Grunde wirklich helfen wollen. Für andere da sein wollen», sinniert Grünigs fiktionalisierter Protagonist, aufgewachsen in einem freikirchlichen Millieu im Berner Oberland. Von diesem Ich-Erzähler erfahren wir in knappen Texten vom schmerzhaften Versuch, die eigene sexuelle Identität «wegzubeten» und durch Therapie «löschen» zu lassen. Seine Biografie wird dabei nach vermeintlichen Gründen für die «Krankheit» durchforstet: «Jedes negative Ereignis in deinem Leben wird als Auslöser deiner Homosexualität verbucht».

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Einsame Landschaften zeihen sich durch Dimitri Grünigs Debüt «Aber schwul bin ich immer noch». © Dimitri Grünig

Reale Erfahrungen, fiktive Figur

Dimitri Grünig studierte an der Hochschule Luzern und lebt als freischaffender Künstler und Illustrator in Bern. Die fiktive Figur seines nuancierten Debüts formte er mithilfe von Expert*innen und Berichten Betroffener, die Konversionstherapien oder Massnahmen hinter sich haben.

Zurückhaltende Bleistiftskizzen stellt Grünig den Gedanken des Ich-Erzählers gegenüber, der sein Umfeld hinter sich lassen muss, zum Abtrünnigen erklärt wird – und letztendlich doch einen eigenen Zugang zum Glauben findet. Menschenleere Schwarzweiss-Landschaften und fast sinnbildliche Motive verstärken das Gefühl von Isolation und Beklemmung. Eine Glasmalerei in einer Kirche etwa oder ein abgebrochener Baum im Kiental, daneben eine Notiz: «Hat Natur nicht immer etwas Brutales?»

// Ono das Kulturlokal, Bern

Mi., 15.1., 20 Uhr

www.onobern.ch

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