«Es ist diese Fülle, die flasht»
Die Stiftung Progr übernimmt die Turnhalle. Mit dem Konzert- und Clubabend «Auftakt» geht es los. Urs Emmenegger, Leiter Veranstaltungen, Projektmitarbeiterin Mirjam Fierz und der neue Club-Kultur-Verantwortliche Carlos Aguilar sitzen mit der Bka in der Progr-Kantine und machen kurz Verschnaufpause. Ein Gespräch über Musse und Mut, mehr als «Good-Vibes»-Musik und das allererste Herrgöttli an der Turnhalle-Bar.
In wenigen Tagen gehts mit neuem Programm in der Turnhalle im Progr los. Wie ist eure Stimmung?
(Die Frage steht im Raum, da öffnet sich die Tür der Progr-Kantine, wo das Gespräch stattfindet, und ein Mitarbeiter guckt rein, auf der Suche nach einer anderen Person).
Urs Emmenegger: Genau so geht es uns (lacht). Ich beginne eine E-Mail und schon kommt ein Anruf rein oder jemensch taucht im Büro mit einer dringenden Bitte auf... Task folgt auf Task und es hört eigentlich nie auf. Manchmal muss ich innehalten und vor lauter Ballast auch Vorfreude aufkommen lassen. Es läuft alles gleichzeitig. Und alles auf Hochtouren.
Mirjam Fierz : Es ist gerade aufregend zu erleben, wie Ideen und Konzepte, die wir in den letzten Jahren entwickelten, nun konkrete Form annehmen. Und es inspiriert, das Team mit den vielen Neuen kennenzulernen. Wir hatten eben ein Kick-off mit unserem neuen Gastroteam der Turnhalle und planen wöchentliche Teamcafés. Da ist viel Aufbruch.
Neu betreibt ihr die Turnhalle selber. Bisher war der Ort das zentrale Ausgehlokal junger Stadtberner*innen. Eine angesagte Adresse. Ihr wollt den Ort anders prägen. Warum eigentlich?
U.E. : Die Turnhalle hat in der Tat gut funktioniert, und wir wollen ja auch nicht alle Ideen der vorgängigen Betreiber über Bord kippen. Doch möchten wir die Turnhalle noch mehr in den Progr als Atelier-, Künstler*innen- und Veranstaltungshaus integrieren. Wer bisher in der Turnhalle feiern ging, hat von der Kunst und der Kultur, die hier passiert, nicht unbedingt viel mitgekriegt.
Wollt ihr dazu die Künstler*innen vor Ort einbinden?
U.E.: Ja! Dazu haben wir auch neue Formate entwickelt. Zum Beispiel die Hausmusik: Die Idee ist, dass jeden zweiten Dienstagabend ein*e Künstler*in des Progr im Barbereich der Turnhalle Lieblingsmusik auflegt – und dazu nicht etwa abgehoben hinter den Decks der Bühne steht. So soll eine gemütliche, warme und niederschwellige Atmosphäre entstehen, in denen die Künstler*innen im Haus untereinander und mit den Turnhalle-Gästen ins Gespräch kommen. Bei uns im Progr arbeiten 220 Kunst- und Kulturschaffende. Die binden wir bereits jetzt vermehrt ein. «12 nach 12» ist zum Beispiel eine Veranstaltungsreihe über Mittag, bei der das Kammermusikensemble Camerata und auch andere Progr-Mieter*innen in der Aula Einblick in ihre Arbeit bieten. Dann gibt es aber auch monatliche Progr-Touren, bei denen die Atelierbetreibenden ihre Türen öffnen. Gleichzeitig ist der Progr kein Freilichtmuseum mit Künstler*innen. Er muss Freiraum und kreativer Ort mit genug Ruhe bleiben. Musse und Mut braucht es zu gleichen Anteilen.
M.F.: Es ist allerdings auch nicht so, dass wir nur hauseigene Kultur bieten. Wir holen auch bekannte und gefragte Namen ins Haus. Etwa im Rahmen unserer Literaturreihe «Wortort», für die wir schon Autor*innen wie Urs Mannhart, Julia Weber oder Yves Bosshart eingeladen haben.
Will der Progr also auch Literaturhaus sein?
U.E.: Wir sind zumindest schon länger dran, Berner Literaturschaffende zusammenzubringen. Mit der Kornhausbibliothek bin ich im Gespräch. Der Progr böte eine schöne Atmosphäre für eine Art Literaturclub à la «SRF».
Carlos Aguilar, du bist als erfahrener Clubmensch und Booker neu für die Clubkultur im Progr zuständig. Was soll die ausmachen?
Carlos Aguilar : Sie soll so vielfältig sein wie der Ort. Die vielen Möglichkeiten, die der Progr als Haus bietet, war mein Anreiz, hier die Clubkultur zu übernehmen. Das heisst für mich, einerseits auf das Publikum zuzugehen. Dieses ist sehr divers. Und andererseits die Location ernstzunehmen, also in erster Linie die Turnhalle. Ich will stimmige gemeinsame Clubmomente schaffen, in denen die Künstler*innen, Publikum und Ort zueinanderfinden, sei dies bei Electronica oder World-Beats. Viele Musiker*innen, die ich im Ausgang treffe, fragen mich nach meinem Programm und wollen unbedingt in der Turnhalle auflegen. Ich könnte wahnsinnig viel programmieren. Ich lasse mir beim Booking aber lieber Zeit.

Kannst du dir vorstellen, neben der Turnhalle auch andere Räumlichkeiten im Progr fürs Clubbing zu erschliessen?
C.A.: Unbedingt! Mir schwirren schon einige Ideen im Kopf rum. Genauso wichtig ist mir aber, mit den anderen Clubs rundherum enger zusammenzuarbeiten: Wir streben einen Austausch mit dem Kapitel, dem ISC, dem Dachstock und so weiter an.
Seid ihr bald auch Teil des Formats «Bermuda-Dreieck», dieser gemeinsam organisierten Clubnacht, in der das Publikum in den verschiedenen Clubs rund ums Bollwerk-Reitschule-Perimeter unterwegs ist?
C.A. : Ja, da wären wir künftig gerne Teil davon, die Gespräche dazu haben aber noch nicht stattgefunden.
Wie sieht es eigentlich mit der Diversität der Gäste aus? An Literaturveranstaltungen wie auch bei Vernissagen von Kunstgalerien trifft man meist auf ein gesetzteres Publikum. Im Club bewegen sich hingegen die Jungen. Finden die Bubbles bei euch zusammen?
M.F. : Ich glaube, wir haben mit dem Mix von Kunstgalerien, Konzertlokalen, Bars und Bühnen tatsächlich gute Chancen, Menschen aus verschiedenen Szenen und Generationen abzuholen. Ich beobachte etwa, dass die Stadtgalerie und ihre Veranstaltungen durchaus auch junge Leute anzieht. Mein Traum wäre, dass sich das Publikum vor dem Bee-flat-Konzert und nach der «Galerie-Bischoff-&-Partner-Vernissage» im Innenhof des Progr, an der Bar der Turnhalle oder im Lehrerzimmer vermischt.
U.E.: Der Progr soll ein Ort sein, wo du auch mal ein Konzert oder eine Party besuchen kannst, wenn du zehn Jahre älter bist als die meisten und dich trotzdem wohlfühlst. Es soll einfach egal sein, zu welcher Szene du gehörst. Wenn es sich für dich richtig und gut anfühlt, im Progr zu sein, dann haben wir es richtig gemacht.
In der Sommerpause beginnt die Neugestaltung des Innenhofs. Im Herbst wird er neu eröffnet. Was erwartet das Publikum?
M.F. : Im Moment läuft das ganze Bewilligungsverfahren und wir hoffen, dass alles rund läuft. Der Progr-Innenhof soll ein inklusiver, einladender Ort sein, an dem viel möglich ist. Neben Barbetrieb gibts weiterhin Zonen ohne Konsumzwang, womöglich dereinst auch Musikfestivals oder Freilichtkino. Im Frühling würde ein Pflanzenmärit schön passen.
Die nächste Etappe ist nun aber die Turnhalle. Sechs Hausschlagzeuger und die DJs Sun Drine und Noria Lilt laden beim «Auftakt» zur Party. Euer persönliches Highlight im Februar?
C.A. Ich freue mich auf das ganze Programm, einen Ort voller Ideen und Diversität. Und was die Clubkultur angeht, möchte ich nicht nur «Good-Vibes»-Musik, sondern auch komplexe Sounds und experimentellen Projekten Platz geben. Auch gesellschaftliche und politische Themen sollen sich in der Musik und visuell vorkommen.
M.F. : Mir schwebt der Duft von Gedrucktem beim Bücherflohmarkt «Büchermeer» vor, ich liebe den Geruch alter Bücher. Und ich bin gespannt auf den Austausch und das Echo des Publikums, auf sein Wohlwollen und die ehrlichen Feedbacks.
U.E.: Ich freue mich am frühen Abend des «Auftakts» aufs allererste Herrgöttli an der Turnhalle-Bar, wenn es nach der ganzen Arbeit der vergangenen Monate endlich losgeht. Und dann am Ende der Nacht aufs Anstossen mit dem ganzen Team, wenn dazu die ersten Vögel pfeifen. Es ist schlicht die Fülle des ganzen Ortes, die flasht.