Eine Gebärmutter für Nadula
Die Kunsthalle öffnet nach Umbau und Verhüllung mit Kunst, die Ahnen befreit: Die namibische Künstlerin Tuli Mekondjo holt mit der Installation «Onjuo ya Nadula: Nadula's Sacred Dwelling» ein museales Objekt zurück ins Leben.
Als Tuli Mekondjo ihre Grossmutter zum ersten Mal sah, war sie neun Jahre alt. Bis dahin hatte sie in Flüchtlingslagern in Angola und Sambia gelebt – ihre Eltern hatten sich der namibischen Befreiungsarmee angeschlossen, die von 1966 bis 1989 einen Guerillakrieg gegen die südafrikanische Besatzungsmacht führte. Erst als Namibia 1990 die Unabhängigkeit erlangte, konnte die Familie zurückkehren.
Bis heute erinnert sich die Künstlerin an die erste Begegnung mit ihrer Grossmutter: «Eine ältere Frau stand mitten im Omahangu-Feld. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass sie meine Grossmutter ist, aber intuitiv rannte ich auf sie zu und umarmte sie.» Vor allem ihre Hände blieben ihr in Erinnerung: Unglaublich schrumpelig und zerfurcht, wie trockene Flussbetten, von all der Arbeit, die sie in ihrem Leben erledigt hatte, von den Kindern, die sie geboren, aber auch von dem vielen Leid, das sie erlebt hatte. «Das war der Moment, in dem ich begriff, was ich in meinem Leben machen möchte. Dass ich etwas mit meinen Händen erschaffen möchte.»
35 Jahre später steht Tuli Mekondjo in einem grossen Raum der Berner Kunsthalle. Die namibische Künstlerin hat sich mit ihren Werken zur kolonialen Vergangenheit Deutschlands in Namibia, zur Rückgabe von Kulturgütern und zu den Stimmen der namibischen Frauen in der Geschichte des Lands einen Namen gemacht. Wobei sie sich in erster Linie als Vermittlerin zu ihren Ahnen begreift, die fortführt, was diese aufgrund des Krieges und des Kolonialismus nie erschaffen konnten.
Die Traumata des Bodens
Für Mekondjos eigens für die Kunsthalle geschaffene Installation «Onjuo ya Nadula: Nadula's Sacred Dwelling'» wurden die Wände blau gestrichen – «wie der weite Himmel Namibias». Der Raum soll zu einer namibischen Landschaft werden, denn nicht nur die Traumata der Menschen und ihrer Körper müssten verarbeitet werden, erklärt Mekondjo, «sondern auch die Traumata des Bodens». In der Mitte des Raumes steht eine niedrige Hütte aus rotem Lehm. Der Lehm ist noch frisch, gerade gestern hat Mekondjo den äusseren Teil der Hütte fertiggestellt. Solche Hütten werden in Namibia für Rituale um Geburten und Todesfälle verwendet. So bleibt ein Kind nach der Geburt traditionellerweise noch weitere drei Monate in der Hütte, wo es mit den Ahnen bekanntgemacht wird, bevor es in die weite Welt kommt.
Nun soll die Hütte ein temporäres Zuhause für Nadula werden. Nadula ist eine Okana –in der westlichen Ethnografie werden solche Figuren als Fruchtbarkeitspuppen bezeichnet– wie sie vor hundert Jahren oft für Frauen hergestellt wurden. «Wurde eine Frau später schwanger, so nannte sie das Kind nach der Puppe. Es wurde zur Verkörperlichung dessen Geistes.»
Moment zum Atmen
Ob je ein Kind Nadula getauft wurde, weiss man nicht. Die Puppe landete, wie so viele andere namibische Kulturgüter, in einem europäischen Museum, in diesem Fall im Ethnografischen Museum in Neuchâtel. Hier wurde sie während Jahrzehnten in einer Schachtel aufbewahrt. Ende Mai hat Tuli Mekondjo das Ethnografische Museum in Neuchâtel besucht und sich die Sammlungsgegenstände aus Namibia angeschaut. Nun wird Nadula als Teil der Installation die Hütte bewohnen. «Die Idee ist, ihr ein Zuhause zu geben. Ich will ihr die Möglichkeit geben, sozusagen durch diese Gebärmutter wieder geboren zu werden.»
Mekondjos Installation wirft Fragen zur Rückerstattung von Kulturgütern aus ehemaligen Kolonien auf: «Wenn wir diese Objekte aus den sehr begrenzten Räumen der Museumsdepots nehmen, geben wir ihnen einen Moment zum Atmen, geben wir auch uns die Möglichkeit, mit diesen Objekten zu interagieren und sie zu verstehen.»
Die Kunsthalle zeigt die erste Schweizer Einzelausstellung mit Werken der Autodidaktin Mekondjo. Zeitgleich ist auch eine Einzelausstellung mit den Werken des US-Amerikaners Melvin Edwards zu sehen. Begleitet und kommentiert werden die beiden Ausstellungen von einer Installation der jungen New Yorker Künstlerin Tschabalala Self.