Elizabeth ohne Halskrause
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Elizabeth ohne Halskrause

Theater Performance
Veröffentlicht am 20.11.2024
Susanne Leuenberger
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Mit «Elizabeth – I’m not a Bitch» befreien Bühnenautorin Gornaya und Schauspielerin Milva Stark Schillers «Maria Stuart» vom Korsett des männlichen Blicks. Ihr feministischer Abend im Schlachthaus Theater dekonstruiert den Mythos weiblicher Rivalität mit Humor und Lust.

Königin Elizabeth und Maria Stuart haben bei Schiller nichts zu lachen. Das Drama in vier Akten endet mit der Hinrichtung der namensgebenden schottischen Exilkönigin. Zuvor gibt’s drei Akte lang Rivalität zwischen zwei Frauen. Auf der einen Seite ist da die Regentin Elizabeth, die mit Halskrause und Zepter in der Hand als jungfräuliche Königin in die Geschichte einging – und bei Schiller ziemlich skrupellos und unsympathisch daherkommt. Auf der anderen Seite tritt die schöne und umschwärmte Maria Stuart auf den Plan, die, von Elizabeth eingekerkert, selbst auf den Thron schielt – und sogar Elizabeths Liebhaber und Berater auf ihrer Seite weiss.

Es geht also um weibliche Macht – und es geht um Frauen, die von der Gunst von Männern abhängig sind. Schillers Stoff um Maria und Elizabeth ist ein richtiger «Bitch Fight», wenn man es ganz flapsig auf den Punkt bringen möchte.

«Elizabeth – I’m not a Bitch» nennt sich hingegen der feministische Abend, an dem Bühnenautorin Gornaya und Schauspielerin Milva Stark gerade noch feilen. Die beiden Berner Künstlerinnen knöpfen sich Schillers reichlich misogyne Sicht auf seine zwei Frauenfiguren vor – und verleihen Elizabeth einen Körper, der ohne männlichen Blick und ohne weibliche Konkurrenz regiert. Das zumindest ist das Ziel des Bühnenstücks, das sich von Schillers Vorlage dann auch ziemlich schnell wegbewegt.

Einen Körper finden

Der Text dazu, den Gornaya und Milva Stark gemeinsam erschrieben, der muss nun noch einen Körper finden. Und zwar im Hier und Jetzt. Denn, mal abgesehen von der Halskrause und dem Zepter, sei «Maria Stuart» ein Stoff, aus dem auch die gegenwärtige Realität gesponnen sei. Leider, erklärt Gornaya: «Frauen in Machtpositionen, das ist bis heute nicht einfach. Immer ist da noch ein männlicher Blick, der mitregiert. Immer ist da der weibliche Körper, den andere kontrollieren wollen.»

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Bühnenautorin Gornaya. © Bernhard Blank

Gornaya und Milva Stark befinden sich zusammen mit Schauspieler Giulin Stäubli sowie Regisseur Jonathan Loosli und Endproduzent Diego Valsecchi mitten in den Proben. So kommt es, dass Milva Stark beim Gespräch gleich die Krone aufbehält und die besagte Halskrause trägt. Allerdings eine, deren Verschluss sich immer wieder löst, wenn Stark herauslacht. Und das tut sie oft.

Und mit dieser sich lockernden Halskrause sind auch schon zwei Dinge darüber verraten, wie dieser Abend ausfallen dürfte. Erstens: Anders als bei Schiller gibt es hier einiges zu lachen. Humor sei wichtig, so Milva Stark: «Er löst auf und ermöglicht es, Ordnungen zu durchbrechen. Er nimmt die Angst, macht Mut und öffnet das Herz.» Und Witz und Mut braucht es durchaus, um zu einer historischen Elizabeth durchzudringen, die als Regentin ohne Mann an ihrer Seite regierte. 45 Jahre lang. Die «Virgin Queen» blieb kinderlos. Gegen den Wunsch des Parlaments und ihrer Berater, die sie mal mit Frankreich, mal mit Spanien verheiraten wollten.

Ihre Gebärmutter gehörte England

«Nie ging es um Liebe. Es ging immer darum, mit wem Elizabeth Nachkommen zeugen sollte. Ihr Körper war quasi Staatsgut. Ihre Gebärmutter gehörte England.» Diesem Zu- und Übergriff habe sie sich mit ihrer Jungfräulichkeit verweigert. Gornaya und Stark setzten sich mit historischen Quellen zu Elizabeth und der damaligen Zeit auseinander – und mit ihrer Psychologie. Auf einen Mann, auf eine eigene Sexualität zu verzichten, das war wohl der Preis, den sie als Regentin zahlte.

«Immer ist da noch ein männlicher Blick, der mitregiert.»
— Gornaya und Milva Stark

Und so kommen wir zum zweiten Punkt, den das Lockern der Halskrause andeutet: «Weibliche Sexualität ist wichtig, sie spielt eine grosse Rolle im Stück», sagt Milva Stark. Denn eine freie Sexualität, die durfte Elizabeth kaum erfahren, ihre Macht war an die Kontrolle ihrer Lust gekoppelt. Auch das ein Thema, das bis heute Gültigkeit hat, sind die beiden überzeugt: «Frauen, die weiterkommen wollen, müssen gewissen Körpernormen entsprechen. Ihr Erfolg ist an ihren Körper gekoppelt, viel mehr als bei Männern.» Eine Erfahrung, die auch Milva Stark als Schauspielerin zur Genüge machte. Und so fliessen auch biografische Erlebnisse ins Stück ein. Und natürlich jede Menge feministischer Ideen – «aber nicht trocken. Sondern lustvoll», findet Milva Stark. Theater, das müsse und dürfe physisch sein. Und so darf auch mal die Muschi selbst das Wort ergreifen. Denn auch Lust und Sinnlichkeit sind Macht – sie befreien und sind kreativ.

Eine schöne Pointe zum Anfang

Das alles bringt Milva Stark als Elizabeth und zuweilen als sich selbst auf die Bühne. Einzig Schauspieler Giulin Stäubli – er verkörpert einen Diener, steht aber auch für alle Männer und setzt sich auch mal hinters Schlagzeug – ist als Gegenüber noch mit im Spiel.

«Elizabeth – I’m not a Bitch» startet also den Versuch, Schillers Stoff auszuweiten, sich einen Frauen- und Machtkörper auszudenken, der weder vom Korsett beengt noch nackt vor männlichen Blicken bestehen, kontrolliert und gutgeheissen werden muss. Dass gerade zwei Künstlerinnen gemeinsam zusammenspannen, um das Drama um den misogynen Mythos rivalisierender Frauen auseinanderzunehmen und neu zusammenzuspinnen, das ist schon mal eine schöne Pointe zum Anfang.

// Schlachthaus Theater Bern

Premiere: Fr., 29.11., 20 Uhr. Vorstellungen bis 5.12.

www.schlachthaus.ch

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Susanne Leuenberger
Susanne Leuenberger
Redaktionsleiterin

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