Fahrstuhl in die Gegenwart
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Fahrstuhl in die Gegenwart

Bühne Theater
Veröffentlicht am 12.03.2024
Helen Lagger
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Einst gab es in Bern einen mutigen Anwalt, der einen grässlichen Verschwörungsmythos vor Gericht entlarvte. Das Theater an der Effingerstrasse bringt mit dem historisch informierten Stück «Der vergessene Prozess» brandaktuellen Stoff zu Antisemitismus auf die Bühne. Der legendäre Bühnenfahrstuhl bringt die alten Geister wie Wiedergänger zurück.

Es war einmal in Bern. Ein Prozess zog grosse Aufmerksamkeit auf sich. Der junge Anwalt Georges Brunschvig (1908-1973) trat gegen den Antisemitismus an. Im Namen der Jüdischen Gemeinde Bern verklagte er Frontisten und sorgte dafür, dass die «Protokolle der Weisen von Zion» offiziell als Fälschung deklariert wurden. Die Hetzschrift wurde nach einer Kundgebung von Schweizer Faschisten 1933 im Casino Bern verkauft.

Die Schriften sind ein antisemitisches Pamphlet, das Verschwörungsmythen bedient, denen zufolge die Juden die Welt beherrschen. Die Berner Autorin Gornaya, mit bürgerlichem Namen Gabriele Leuenberger, hat aus dem Stoff, den die Geschichte lieferte, das Bühnenstück «Der vergessene Prozess» geschrieben. In der Inszenierung des deutschen Regisseurs Jochen Strodthoff kommt dieses nun im Theater an der Effingerstrasse zur Uraufführung.

Der legendäre «Fahrstuhl», der die Bühne im Effingertheater prägt, kommt im Stück sinnbildlich zum Einsatz. «Die Figuren tauchen wie Wiedergänger aus der Vergangenheit auf», so Regisseur Strodthoff. 

Parcours mit Zivilcourage 

Die Handlung beginnt in der Gegenwart und springt dann durch die Zeiten, wobei im installativen Bühnenbild von Angela Loewen viel in Gerichtsprotokollen gewühlt wird. Der von Jeroen Engelsman gespielte junge Anwalt hat mit Odette Brunschvig an seiner Seite eine Frau, die alle Prozesse mitverfolgte. Die Zeitzeugin verstarb 2017, der Prozess geriet weitgehend in Vergessenheit. Im Stück schlüpft die beliebte Berner Schauspielerin Heidi Maria Glössner in die Rolle der Odette. «Ich versuche nicht sie zu imitieren, sondern denke mich in ihre Geschichte hinein», so die Darstellerin. 

In Zeiten von Fake News und wieder aufflammendem Antisemitismus setzt das Theater an der Effingerstrasse auf ein dringliches und brandaktuelles Thema. 

Der damalige Opportunismus der Schweizer Behörden beschäftige sie, so Glössner. «Dieses Stück ist eine berührende Geschichtslektion.» Die «Protokolle der Weisen von Zion» wurden zwar als Fälschung deklariert, die Strafen für die Verbreiter und Hetzer beschränkten sich jedoch auf lächerliche Summen.

Parallel zum Stück findet ein Stationentheater zum Thema Zivilcourage statt, das zu geschichtsträchtigen Orten führt. Dass dieses ausverkauft ist, hat seinen Grund: In Zeiten von Fake News und wieder aufflammendem Antisemitismus setzt das Theater an der Effingerstrasse auf ein dringliches und brandaktuelles Thema.

Theater an der Effingerstrasse, Bern

Premiere: Sa., 23.3., 20 Uhr

Vorstellungen bis 20.4.

www.theatereffinger.ch

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Helen Lagger
Freie Autorin

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