Fahrt ins Ungewisse
 Minuten Lesedauer

Fahrt ins Ungewisse

Literatur
Veröffentlicht am 19.11.2024
Denise Tuna
 Minuten Lesedauer

Ein grüner Käfer auf einer Landstrasse: Was einst für ein Freiheitsversprechen stand, wird in Zora del Buonos Autofiktion «Seinetwegen» zum Symbol eines tiefen Verlusts. Mit Sinn für das Unergründliche wagt sich die Erzählerin an schmerzvolle Leerstellen ihrer Familiengeschichte. Im Zentrum Paul Klee liest sie daraus.

In den sechziger Jahren stand das Auto für ein Lebensgefühl, das in ikonischen Modellen wie dem VW Käfer Fahrt aufnahm und die Zuversicht der neuen Ära auf die Strassen brachte. In Zora del Buonos Roman «Seinetwegen» wird dieses vermeintliche Symbol der Unbeschwertheit zum Sinnbild einer persönlichen Tragödie: Der Vater der Erzählerin, ein italienischer Arzt namens Manfredi del Buono, kommt anno 1963 in einem lindgrünen VW Käfer mit nur 33 Jahren um. Das irrsinnige Überholmanöver eines entgegenkommenden Fahrers fordert sein Leben. Die Erzählerin ist damals acht Monate alt.

Sie wächst mit ihrer Mutter, einer Röntgenassistentin, in Zürich auf. Der Schmerz, der im Gesicht der Mutter aufblitzt, wenn die Rede auf den Vater kommt, erträgt das Mädchen nicht. Also schweigen die beiden. Erst als die Mutter an Demenz erkrankt und die Erinnerung an den Vater allmählich verblasst, beschliesst die nun sechzigjährige Erzählerin, dem «Töter», dem unbekannten Autofahrer mit den Initialen E.T., auf die Spur zu kommen. Wie lebt jemand mit einer solchen Schuld? Geplagt von der Unbegreiflichkeit des Verlustes imaginiert sich die Erzählerin E.T. als einen bösartigen Mann, der ungerührt sein Leben weiterführt. Ihre Recherche gleicht einer akribischen Spurensuche, bei der der Name eines gewissen Ernst Traxler immer näher rückt. Oft hantiert die Erzählerin mit fast bürokratisch-nüchternen Worterklärungen und Definitionsversuchen – so, als könnte sie ihre offenen Fragen durch das Zergliedern von Buchstaben und semantischen Klarheiten beantworten.

Image description
Dame mit Hündchen: die Schweizer Buchpreisträgerin Zora del Buono. © Stefan Bohrer

Unerwartete Nähe

«Si müend wüsse, dä Traxler isch eine vo de Guete gsii», ist das ernüchternde und überraschende Fazit ihrer Recherche. Traxler, so stellt sich heraus, war kein «unsensibler Halodri». Er war geständig, fuhr nie mehr Auto und war von Gewissensbissen erdrückt. Es stellt sich die beklemmende Frage: Wohin verlagert sich die Wut über den sinnlosen Tod, wenn derjenige, der ihn verursachte, auch zu bemitleiden ist?

Mit einer ergreifenden Ehrlichkeit räumt die Erzählerin ein, dass sie den Vater eigentlich nie vermisst hat – wie auch, wenn sie ihn nie kannte? Sie kam letztlich einzig dem Traxler näher, diesem «schwulen Hundefreund», mit dem sie einiges verbindet.

Zora del Buono, 1962 in Zürich geboren, gelingt eine ergreifende Aufarbeitung, die auf ihrer eigenen Lebensgeschichte fusst. Der Erzählton der Architektin und Schriftstellerin wirkt weder pathetisch noch überladen. Vielmehr flimmert eine zarte Versöhnlichkeit durch – die zugleich schmerzt und tröstet.

Mit ihrem Roman «Seinetwegen», der soeben den Schweizer Buchpreis gewann, besucht del Buono das Zentrum Paul Klee.

// Zentrum Paul Klee, Bern

So., 1.12., 11 Uhr

www.zpk.org

Artikel des/derselben Autor:in
Denise Tuna
Denise Tuna

BKa abonnieren

Dieser und unzählige weitere Artikel sind auch in gedruckter Form erhältlich. Die Berner Kulturagenda erscheint zweiwöchentlich und beleuchtet das Berner Kulturgeschehen.