Figuren, die allein unterwegs sind
«Stadt – Land – Fluss»: Das Kunstmuseum Thun setzt die Malerei Gustav Stettlers mit Werken aus der Sammlung in Verbindung und macht urbane Einsamkeit erfahrbar.
Ein wenig erinnert Gustav Stettlers Bild «Gemäldegalerie II» an die «Ballade vo Däm, wo vom Amt Isch Ufbotte gsi». Oder anders: Gäbe es eine Visualisierung von Mani Matters ikonischem Lied, in dem sich ein Mann in den schier endlosen Korridoren eines Berner Amtsgebäudes verirrt, sie könnte so aussehen. Das Ölgemälde in der Ausstellung «Stadt – Land – Fluss» gewährt aus der Zentralperspektive Einblick in eine Galerie, die in sechs Räume aufgefächert ist. In drei davon stehen männliche Figuren in schwarzen Anzügen und betrachten mit nachdenklichen Mienen ein Bild.
Zwischenmenschliche Entfremdung
Durch das Werk Stettlers, der 1913 im bernischen Oberdiessbach zur Welt kam und 2005 in Basel starb, zögen sich Themen wie Anonymität und zwischenmenschliche Entfremdung, besagt der Ausstellungstext. Der Künstler wuchs im Emmental in einer Bauernfamilie auf. Nach einer Lehre als Flachmaler zog es ihn in den 1930er-Jahren nach Basel, wo er zuerst auf dem Bau arbeitete, dann zu malen und zu unterrichten begann. Stettler gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Basler Künstlervereinigung «Kreis 48», die 1948 auf Initiative des Basler Malers Max Kämpf entstand und eine Vielzahl gemeinsamer Ausstellungen bestritt.
Ob es ihm gerade aufgrund seiner ländlichen Prägung gelang, mit einem feinen Gespür Situationen der urbanen Entfremdung auf die Leinwand zu bringen, die er im Vergleich zu seinem Herkunftsort im schon fast «grossstädtischen» Basel beobachtete, sei dahingestellt. Fest steht, dass sein Bild «Gemäldegalerie II», das Stettler in den 1960er-Jahren schuf, durch den geometrischen Aufbau etwas Labyrinthisches bekommt und die drei Protagonisten eine leichte Verlorenheit ausstrahlen.

Auch nah bleiben sie fern
Näher kommen wir Stettlers Figuren hingegen im Ölgemälde «Kleine Galerie», das er im Jahr 1980/81 schuf. Ein Mann und eine Frau mit einem Baby auf dem Arm stehen leicht voneinander abgedreht in der Bildmitte, auch ihr Blick ist – vermutlich – auf ein Gemälde gerichtet. Hinter den beiden sieht man den Rücken einer weiteren Figur, die ihrerseits in die entgegengesetzte Richtung schaut. Aber auch bei diesem Werk will trotz räumlicher Nähe der Figuren kein Gefühl von Gemeinschaft oder Interaktion aufkommen.
Die Ausstellung «Stadt – Land – Fluss» zeigt aber nicht nur das vielfältige Wirken Stettlers, der sich neben der Malerei auch mit Zeichnungen und Radierungen auseinandersetzte. Sie sucht auch die Verbindung zwischen Stadt und Land. So treten seine Arbeiten mit einer spezifischen Auswahl an Sammlungswerken des Kunstmuseums Thun in einen Dialog: von Künstler*innen, die mit ihren Arbeiten mal in pulsierende Städte und mal in entschleunigte Landschaften führen.

Aufzuspüren gibt es etwa die verträumte «Winterlandschaft Thun» des Thuner Malers Willi Waber, das Gemälde «Unbekannte Kammer» der in Bern und Leipzig lebenden Künstlerin Zora Berweger oder «Jacky», eine Fotografie von Reto Camenisch aus dem Jahr 1987. Auf letzterer schaut «Jacky» mit kurzen, blondierten Haaren und Lederkluft knapp an einem Spiegel vorbei und ihr Ebenbild blickt die Betrachter*innen forsch an. Ganz so, als wären sie ihr etwas gar nah gekommen.
