Geregelte Intimität auf der Leinwand: «Ist das noch gesund?»
 Minuten Lesedauer

Geregelte Intimität auf der Leinwand: «Ist das noch gesund?»

Film
Veröffentlicht am 23.04.2024
Tabea Andres
 Minuten Lesedauer

14 Klauseln für die Liebe: Der Dokumentarfilm «Normal Love» zeigt die vertraglich vereinbarte «qualitätsvolle Liebesbeziehung» zwischen der Performance-Künstlerin Jeanne Spaeter und dem Autohändler Mike Argiz. Das Experiment begleitete der Berner Filmemacher Yannick Mosimann. Zu sehen im Kino Rex.

«Ich möchte schauen, ob und welche Art von Emotionen einer so rationalen Sache entwachsen können», sagt Jeanne Spaeter zu Beginn des Films «Normal Love» am Telefon zu ihrer Mutter. Mit der rationalen Sache meint die Genfer Künstlerin ihren Beschluss, während einem Jahr eine vertraglich geregelte, monogame Liebesbeziehung mit einem ihr bis dahin Unbekannten zu führen.

Nachdem Spaeter Ende 2020 über Jobplattformen und Tinder einen Mann für ihr Experiment gesucht hatte und mit dem Autohändler Mike Argiz aus Bern auch tatsächlich einen fand, gewährten die beiden Endzwanziger bereits auf ihrem öffentlichen Instagramkanal «Relation amoureuse de qualité» tiefe Einblicke in ihr «Paarleben». Ihre Intimität basierte auf 14 Klauseln. Diese hielten etwa fest, dass sich das Paar nach sechs Monaten das erste Mal «Ich liebe dich» sagen sollte, viermal pro Monat miteinander zu schlafen hatte oder gewisse gemeinsame Aktivitäten unternehmen sollte.

Unsichtbarer Zuschauer

Die Erfahrungen aus der Zeit mit Argiz sezierte Spaeter im Tojo im interaktiven Theaterstück «Love under Contract». Nun kommt auch der Dokumentarfilm «Normal Love», der letzten Oktober am Zurich Film Festival Premiere feierte, nach Bern. Begleitet wurden Spaeter und Argiz vom Filmemacher Yannick Mosimann. «In den ersten Monaten vor der Performance war ich regelmässig im Gespräch mit Jeanne, um sie und ihre Idee besser kennenzulernen», erzählt er. Danach sei er mindestens zweimal in der Woche bei den beiden zu Hause oder mit ihnen unterwegs gewesen. «Ich hatte Einblick in ihren gemeinsamen Kalender, ging oft bei ihnen vorbei, stellte meine Kameras auf, startete die Aufnahme und ging wieder für ein paar Stunden nach Hause oder war in einem Nebenraum unsichtbarer Zuschauer.»

Image description
Auch mal zusammen vor der Spielkonsole: Mike Argiz und Jeanne Spaeter führen in «Normal Love» eine «Liebesbeziehung», in der die Freizeitaktivitäten vertraglich geregelt sind. © Yannick Mosimann / Project Axel Foley

Regisseur Mosimann fächert in «Normal Love» die Beziehung der beiden chronologisch auf, und so gelangen wir vom anfangs beschriebenen Telefongespräch mit Spaeters Mutter an eine festliche Onlinezeremonie mit 50 Gästen, bei der sich die Künstlerin offiziell mit Argiz liiert. Die beiden sehen sich hier zum dritten Mal: Eine Anwältin liest die Klauseln des Vertrages vor und losgeht das gemeinsame Leben. Von nun an liegen wir sinnbildlich mit Argiz und Spaeter im Bett, während sie diskutieren, oder sitzen mit ihnen im Auto auf einer Brocki-Tour. Dass dabei zumindest ansatzweise voyeuristische Gelüste gestillt werden, hat damit zu tun, dass Mosimann oft mit unscharfen Einstellungen arbeitet und das Ganze wirkt, als hätte das «Liebespaar auf Zeit» ein Handy oder eine Videokamera irgendwo hingestellt und sich dabei selbst aufgezeichnet.

Image description
Ziemlich nah dran an Mike Argiz und Jeanne Spaeter: Der Berner Filmemacher Yannick Mosimann begleitete die beiden ein Jahr lang. © Pascal Bovey

Was wird hier genau gefühlt?

In einer Sequenz steht Spaeter gerade auf, sie hat das erste Mal bei Argiz übernachtet. Dieser hat das Haus bereits verlassen und ihr eine kitschige Notiz an der Tür hinterlassen: «You are beautiful, you are great, have a wonderful day». Spaeter ist sich nicht sicher, ob die Zeilen ironisch oder ernst gemeint sind. Und genau in dieser Unsicherheit liegt die Kraft des Filmes: Immer wieder fragt man sich, was nun hier wie «echt» ist. Diese Abgrenzungen scheinen sich mit Fortschreiten des Experiments nach und nach sowieso zu verwischen. Wenn Argiz nach einigen Wochen gesteht, sich in Spaeter verknallt zu haben und sie wiederum von einer «Schutzmauer» spricht, weil sie gleichzeitig Schöpferin wie auch Protagonistin der Beziehung sei und diese beiden Rollen nur mit einer gewissen Distanz zu vereinbaren seien, können Bedenken aufkommen, ob die beiden aus dieser Nummer unbeschadet rauskommen. Auch Argiz fragt irgendwann im Film: «Ist das noch gesund?»

Image description
Schwierige Gespräche im Bett: «Normal Love» hält fest, was Paare zuweilen erleben. © Yannick Mosimann / Project Axel Foley

«Normal Love» ist ein ungewöhnlicher und fesselnder Dokumentarfilm. Nicht, weil er, wie wir es von einer Beziehungskiste ­erwarten, Seitensprünge und Krisen, Leichtigkeit und Tiefe festhält. Interessant sind vielmehr die Momente, in denen Argiz und Spaeter mit anderen Leuten über das «Beziehungsexperiment» sprechen und sich in eine Metaebene begeben.

«Wir berühren uns in gewissen Weisen, weil ein Paar solche Sachen eben macht», sagt Argiz etwa an einer Stelle. Er und Spaeter befinden sich in Paris und trinken Bier mit einer Gruppe. Argiz macht, um die Bedeutung seiner Worte zu unterstreichen, einen jungen Mann auf die Hand aufmerksam, die dieser auf das Knie seiner Partnerin gelegt hat. «Das tut er sonst nie», sagt diese unvermittelt. Alle lachen. Und man stellt sich die Frage, wie oft wir uns an vorgefertigte Beziehungsdrehbücher halten, ohne es überhaupt zu merken.

Image description
Ist zugleich Schöpferin und Protagonistin einer konstruierten Liebesbeziehung: Die Genfer Performance-Künstlerin Jeanne Spaeter. © Yannick Mosimann / Project Axel Foley

// Kino Rex, Bern

Premiere in Anwesenheit des Regisseurs: Do., 2.5., 20.15 Uhr

Weitere Vorstellung: So., 5.5., 20.30 Uhr

www.rexbern.ch

Artikel des/derselben Autor:in
Tabea Andres
Tabea Andres
Redaktorin

BKa abonnieren

Dieser und unzählige weitere Artikel sind auch in gedruckter Form erhältlich. Die Berner Kulturagenda erscheint zweiwöchentlich und beleuchtet das Berner Kulturgeschehen.