Glanzgäste und Fälscher im Grandhotel
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Glanzgäste und Fälscher im Grandhotel

Veröffentlicht am 20.12.2023
Susanne Leuenberger
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«Nett, aber Preisdrücker» oder «Übertriebene Frau in jeder Hinsicht»: Gästebewertungen wie diese hielten die Angestellten des Hotels Waldhaus in Vulpera-Tarasp fest. Mit der Ausstellung «Check-in Check-out» macht das Alpine Museum einen Abstecher in die Hotelwelt – und nimmt auch heutige Bewertungstools unter die Lupe. Museumsdirektor Beat Hächler über das Faszinosum Grandhotel und warum er sich selbst als Gastgeber sieht.

Über 20 000 Gäste wurden zwischen 1920 und 1960 vom Personal bewertet. Beat Hächler, das ist zwar sehr unterhaltsam zu lesen, aber ist es nicht auch ziemlich unkorrekt?

Beat Hächler: Sicher, in Zeiten des Datenschutzes zucken wir zusammen. Aber die Kommentare dienten dem internen Gebrauch und waren auch eine Art Psychohygiene des Personals. Da prallten zwei Welten aufeinander: die High Society der damaligen Zeit, die sich einen Kuraufenthalt im Grandhotel leistete – und die Angestellten, oft aus der lokalen Bevölkerung, die sich mit den Gästen herumschlagen und bei der Arbeit ihre Haltung stets bewahren mussten. Der Zettelkasten verrät viel über die vergangene Ära des Grandhotels. Es ist ein Glück, dass die Gästekartei den Brand des Waldhauses 1989 zu grossen Teilen unversehrt überstand.

Hier spielte das grandiose Kurleben der Gäste: Das Hotel Waldhaus in Vulpera-Tarasp. ©Kunstanstalt Bruegger Meiringen
Hier spielte das grandiose Kurleben der Gäste: Das Hotel Waldhaus in Vulpera-Tarasp. ©Kunstanstalt Bruegger Meiringen

Die Karteieinträge erinnern an Thomas Manns «Zauberberg». Nur von unten geschrieben quasi. Mann war nach der Veröffentlichung Persona non grata in Davos, weil er über die Dekadenz der Kurgesellschaft schrieb. Gings in Vulpera ähnlich grandios und zügellos zu und her?

Es gibt bestimmt Parallelen. Die Gäste aus dem gehobenen Bürgertum, der Kunst- und Filmbranche, aus Politik und dem Finanzadel kamen aus der ganzen Welt. Wenn sie sich hier zur Kur einfanden, gabs einen Swimmingpool, einen Golfplatz und eine Rundumbetreuung. Auch Hummerbesteck hat den Brand überlebt.  Es war versilbert und nicht ganz echt. Auch da gibts Analogien zu den Gästen: Unter ihnen verkehrten ebenfalls die einen oder anderen Hochstapler. Nicht alle bezahlten am Ende die Rechnung, und manche quartierten sich unter falschem Namen ein. Mit der Wahrheit und mit den Manieren nahm man es wohl etwas weniger ernst. Schliesslich war man ja hier im Urlaub. 

«1947: auch Er. Blöder Kerl. Schwatzt den ganzen Tag nur dummes Zeug.»
— Auszug aus Gästebewertungen

Die Karteikarten verraten viel Indiskretes, aber auch ernstere Dinge: Das Personal vermerkte auch, ob ein Gast jüdisch war – oder mit dem Führer befreundet.

Wir haben es mit einem Spiegel der Gesellschaftsgeschichte zwischen 1920 und 1960 zu tun. Der Antisemitismus der 1920er- und 30er-Jahre äussert sich auf zahlreichen Karten in stumpfen Ressentiments, die uns sprachlos machen. «Jüdisch» ist ein Stigma, das  reflexartig zur Anwendung kommt. Diese Kommentare enden nicht mit dem Zweiten Weltkrieg; sie reichen bis in die 1950er-Jahre hinein. Relativ viele Gäste aus der Finanzwelt waren jüdischer Herkunft. Das bestätigte die gängigen Stereotype.

Im Grandhotel müssen sich Nazi-Funktionäre und jüdisches Grossbürgertum begegnet sein.

Es gab auch Schweizer Gäste, die das Hotel vorzeitig verliessen mit der Begründung, es habe zu viele jüdische Gäste. Wir geben diesem schwierigen Kapitel entsprechend Raum. Es ist erschütternd zu sehen, wie viele Karteikarten nach den Kriegsjahren durchgestrichen wurden oder den Vermerk «parti/abgereist» trugen. Darunter sind – nicht überraschend – viele jüdische Gäste, die nicht mehr wiederkehrten und über keine gültige Anschrift mehr verfügten. 

«ist noch harrgenau gleich. Treibt es ganz arg mit den Weibern.»
— Auszug aus Gästebewertungen

Die Ära der Grandhotels ist vorüber. Heute sind es nicht mehr die Hoteliers, die Gäste bewerten, sondern es ist umgekehrt. Auch das zeigen Sie in der Ausstellung.

Tripadvisor und Co. sind ein machtvolles Instrument in der Hotelwelt. Gute Bewertungen der Gäste sind entscheidend – doch es braucht eine kritische Distanz. Vieles ist Fake. Tripadvisor spricht in der hauseigenen Analyse von 1,5 Millionen falschen Einträgen auf ihren Seiten, allein 2022. Wahrscheinlich sind es mehr. Das relativiert die Glaubwürdigkeit. Wir geben auch Hoteliers und Hotelfachschulen in unserer Ausstellung das Wort.

Nehmen wir einmal die Sicht eines Hotels heute ein: Ein guter Gast ist einer, der eine gute Bewertung hinterlässt. Sind Sie ein guter Gast?

In der Hinsicht wohl eher nein. Mir widerstrebt es, nach einem Hotelbesuch noch irgendwelche Fragebogen auszufüllen. Ich danke dem Personal lieber vor Ort. Ausser, ein Hotel oder eine Gastgeberin haben mich absolut überzeugt. Dann will ich es wirklich weiterempfehlen. Ich würde mich ansonsten als pflegeleichten Hotelgast bezeichnen.

«Blasierter Mensch»: Bei diesem Gast bleibt der Ostergruss des Hotels aus. ©Edition Patrick Frey
«Blasierter Mensch»: Bei diesem Gast bleibt der Ostergruss des Hotels aus. ©Edition Patrick Frey

Nehmen Sie die Gratisseifen mit?

Die Muster-Body-Lotion ist auch schon in meinem Reisegepäck verschwunden. Das weisse Frotteehandtuch mit dem Hotelschriftzug in Pjöngjang habe ich hochoffiziell erstanden. 

Mögen Sie Grandhotels?

Ja, ich mag die Nostalgie, dieser Duft von ehemaliger Grandezza, und quartiere mich gern dort ein. Mir gefallen die Swiss Historic Hotels, die einige alte Grandhotels in ihrem Angebot haben. 

«Parkiert seinen Alpha Romeo neben Villa Post und weckt mit seinem Start um 6.00 (Uhr) die Gäste.»
— Auszug aus Gästebewertungen

Gibt es eigentlich Analogien zwischen einem Hotel und einem Museum?

Absolut. Auch wir verstehen uns im Alpinen Museum als Gastgeber. Wir wollen, dass die Besucher*innen sich bei uns wohlfühlen und wiederkommen. Das versuchen wir mit guten Ausstellungen, einem netten Empfang, pädagogischen Angeboten und verschiedenen Eventformen. An der «Check-in Check-out»-Vernissage gibts zum Beispiel Prosecco zu Pianomusik. Und: Vier bis acht Museumsgäste können mittags jeweils an eine festlich gedeckte Tafel sitzen und ein Drei-Gänge-Menü geniessen – mitten in der Ausstellung. Unsere Gäste können uns übrigens ebenfalls auf Trip­advisor bewerten. Wir fordern sie am Ende dieser Ausstellung explizit dazu auf. 

Hand aufs Herz: Bewerten auch Sie Ihre Gäste?

Offiziell nein, inoffiziell ja klar. Wir sind ja auch nur Menschen. Natürlich führen wir keine Kartei. Aber das Empfangs-, Restaurant- oder Vermittlungspersonal hat so viele Gästekontakte, dass daraus zwangsläufig Muster entstehen: Es gibt die Besserwisser, die Komplizierten, die Angenehmen. Es gibt die Bergler, die Kunstaffinen, die Schulklassen. Unser Publikum ist sehr breit.

«reisen verfrüht ab – für uns ein Glück»
— Auszug aus Gästebewertungen

Die Angestellten des Waldhauses kannten den Vermerk «Glanzgast» für besonders beliebte Gäste. Wer sind die Glanzgäste ihres Museums?

Das sind solche, die mit Neugier eintreten und etwas Neues über die Bergwelt erfahren wollen. Und natürlich solche, die immer wiederkommen und den Shop und das Restaurant auch noch toll finden. 

Interview: Susanne Leuenberger

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