«Halten wir nicht alle am Eigentum fest?»
Der Club 111 inszeniert im Schlachthaus Theater die Erfolgskomödie «Jeeps» von Nora Abdel-Maksoud erstmals in der Schweiz. Regisseurin Meret Matter mag, dass das Stück übers Erben und Umverteilen in alle Richtungen austeilt.
Meret Matter, Sie inszenieren mit «Jeeps» eine Komödie über Erben. Im Stück wird umverteilt: Erbschaften werden vom Arbeitsamt per Los zugeteilt. Ist das eine gute Idee?
Meret Matter: Nein – das Los ist ja genauso willkürlich wie die Eierstocklotterie, also die Tatsache, dass wir alle nicht darüber entscheiden, als wer und wo wir hineingeboren werden. Diese Zufälligkeit und die ungleichen Voraussetzungen, die sich daraus ergeben, zum Thema zu machen, ist wichtig. Darum ist diese Fiktion ein witziger und genialer Kniff der Autorin. Schliesslich glauben wir alle irgendwie, dass uns unser Eigentum zusteht.
Am Schalter des Arbeitsamts treffen eine Langzeitarbeitslose, gespielt von Grazia Pergoletti, und eine reiche Jungerbin, verkörpert von Gina Lorenzen, aufeinander und es eskaliert: Im Stück suchen alle ihre Vorteile. Ist das nicht eine pessimistische Sicht auf die Dinge?
So pessimistisch wie es zum Zustand der Welt passt: Da mischen sich Superreiche so unverhohlen in die Politik ein, da ist das Wort unanständig nicht mehr hart genug. Diese Gier nach Geld, auf Kosten von Menschenleben und des Klimas, die Raketen und die Autowerbung vor dem Weissen Haus: Es ist schwierig, optimistisch zu bleiben. Aber das Tolle an «Jeeps» ist, dass wir uns mit allen Charakteren irgendwie identifizieren. Das Stück teilt eben in alle Richtungen und differenziert aus. Darin liegt viel Komik: Die Arbeitslosengeldempfängerin schaut da auch einfach mal für sich, die Jungerbin wird radikal, weil sie begreift, dass sie ohne ihre Privilegien gar nicht funktionieren kann. Und der Schalterbeamte leistet sich einen fetten SUV. Das Publikum dürfte sich immer wieder ertappt fühlen. Wir selbst nehmen uns da nicht raus.
«Jeeps» spielt in der Originalinszenierung in Deutschland. Wieviel haben Sie für den Schweizer Kontext adaptiert?
Viele Details. Das Stück braucht Lokalkolorit. In Deutschland gibt es Hartz-IV-, heute Bürgergeld, bei uns würde eine Langzeitarbeitslose auf dem Sozialamt landen. Um die Schweizer Situation korrekt wiederzugeben, habe ich eine Sozialarbeiterin befragt, ebenso jemanden zum Erbrecht. Bei uns gibt’s anstatt Pfandflaschen Depotbecher.

Die JUSO-Initiative zur Umverteilung des Erbes wird es schwer haben. Warum ist materielle Gleichheit so schwierig?
Gab es die je? Wenn wir ganz ehrlich mit uns sind: Verlustängste kennen wohl die meisten. Halten wir nicht alle am Eigentum fest? Und nicht nur Besitz zu haben oder viel zu erben ist bei uns mit Scham behaftet, auch Armut ist es, besonders in einem reichen Land.
Kunst machen ist oft eine prekäre Arbeit. Die wenigsten werden reich damit. Da hilft ein geerbtes materielles Polster. Manche Kulturschaffenden haben es, andere nicht. Ist das Thema beim Club 111?
Wir verdienen in unseren Projekten alle gleich viel, aber klar, der Lebensstil ist unterschiedlich. Wir haben schon immer versucht, möglichst offen darüber zu reden, dass wir, familiär bedingt, unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen. Ich kenne in meinem weiteren Umfeld Künstler*innen, die mit dem Preis für ihr Lebenswerk die Rechnung für die dritten Zähne beglichen haben, andere verwalten riesige Vermögen.
Wenn wir beim Geld und dem materiellen Aspekt der Kunst sind: An Kultur wird derzeit gespart. Hat das auch einen Einfluss auf die Kunst, die gemacht wird?
In der Schweiz sehe ich die Gefahr von ideologischen Schranken noch nicht. In Ungarn und Italien ist die Situation prekärer. Aber auch in Deutschland: Das legendäre Berliner Kinder- und Jugendtheater Grips, deren Stücke mich als Kind beeindruckten, konnte eine Kürzung seiner Gelder nur knapp abwenden. Wie lange noch, ist unklar. Dabei braucht es Kunst, die Widerstand leistet und unbequeme Fragen aufwirft.
Als Tochter von Liedermacher Mani Matter sind Sie oft mit dem Erbe ihres Vaters konfrontiert. Wenn ich Sie jetzt frage, ob Sie mit Ihrem Erbe als Tochter reich werden, wären wir wieder mitten im Stück.
Ich habe sicher ein reiches Erbe. Durch die Auseinandersetzung mit dem Nachlass meines Vaters habe ich viel über ihn erfahren, ich habe ihn auf diese Art nochmals kennengelernt. Die Verantwortung dafür zu übernehmen und ihn mit der Öffentlichkeit zu teilen, ist schön, aber auch viel Arbeit. Den Nachlass schenkten wir dem Literaturarchiv der Nationalbibliothek. An den Liedrechten bereichern wir uns nicht. Der Aspekt der Vermarktung stand nie im Vordergrund. Wir geben seine Chansons nicht für Werbung her. Doch ist mir wichtig, auch über das Erbe meiner Mutter Joy Matter zu sprechen. Sie hat mir – und vielen anderen Müttern und Vätern, auch Alleinerziehenden – als Politikerin den Aufbau der städtischen Tagesschulen hinterlassen, das ist auch ein wichtiges «Erbe».
Und wo sehen Sie als Künstlerin ihr Erbe?
Theater entsteht im Moment, gemeinsam mit dem Publikum. Ich finde es schön, etwas zu schaffen, das im Augenblick passiert und gar nicht unbedingt Bestand haben muss.
// Schlachthaus Theater, Bern
Premiere: Fr., 28.3., 20 Uhr (ausverkauft). Vorstellungen bis Sa., 5.4.
Weitere Vorstellungen im Theater Winkelwiese ab Di., 8.4.