Heilender Rap und bröselnder Mordfall
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Heilender Rap und bröselnder Mordfall

Film
Veröffentlicht am 09.03.2024
Vittoria Burgunder
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50 Jahre gibt es den Hip-Hop. Das Festival International du Film du Fribourg (FIFF) feiert das mit Filmen, die von dieser Jugendkultur leben. Darunter mit dem kolumbianischen Drama «La ciudad de la fieras», das einen Waisen in Medellín auf der Flucht vor der Gewalt im Viertel begleitet. Nur noch seine zwei besten Freunde und der Rap sind geblieben. Ebenso sehenswert ist der chinesische Thriller «Only The River Flows», ein atmosphärischer Film noir im permanenten Nass, der am Festival im internationalen Wettbewerbsprogramm läuft.

Die Welt hat Tato in ein unbarmherziges Leben gespült. Von diesem, inmitten eines Armenviertels von Medellín, erzählt der Film «La ciudad de la fieras». Darin wird der 17-jährige Tato durch den Tod seiner Mutter zum Waisen. Nun ist er alleine und bleibt vorerst im kleinen Backsteinhaus, in dem er mit ihr einst wohnte. Er wartet ab, wie lange ihn die Vermieterin dort noch duldet. Geld hat er keines, den einfachen Sarg kann er nur zahlen, weil er dem Hehler im Viertel etwas Schmuck verkauft.

Einzig seine zwei Freunde sind ihm geblieben: Pitu und La Crespa. Zu dritt auf dem Roller cruisen sie durch die Strassen, in denen Gewalt und Drogen das Leben bestimmen. Schutz davor finden sie im Rap: Nachts auf dem Hügel über dem Lichtermeer Medellíns oder in einer engen Zwischengasse nehmen sie an Rap-Battles teil. Tato misst sich mitten im Getümmel zu simplen Beats mit anderen und disst seine Gegenüber. Den Hip-Hop zelebrieren die drei nicht nur musikalisch. Manchmal gehts auch auf Spray-Tour, wobei die Graffitis der Jugendlichen trotz (oder gerade wegen) der selbst gebastelten Schablone ziemlich jämmerlich ausschauen.

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Tato, La Crespa und Pitu cruisen durch Medellín. ©ZVG

Als es zu gefährlich wird, flieht Tato aufs Land zu seinem Grossvater. Dass er einen hat, wusste er bislang nicht. Der Blumenbauer lässt ihn nur langsam an sich heran, doch bald umsorgt Tato den alten Mann, hilft ihm bei der Ernte und lernt die Flora um den Hof zu schätzen.

Der Sound des Überlebens

Regisseur und Drehbuchautor Henry E. Rincón zeigt uns hier mit sanftem Blick einen perspektivlosen Adoleszenten mit übergrossem Hip-Hop-Cap und ausgeleierten Sneakers auf den Feldern und in den Sümpfen im hügeligen Nirgendwo. Das Drama zeigt einerseits eine brutale Realität, entwickelt sich zugleich aber auch zum zarten Coming-of-Age-Film.

Die Story in «La ciudad de la fieras» baut auf ein gängiges Motiv im Rap-Film: Der Hip-Hop als heilende Kraft, die es vermag, jungen Menschen im Prekariat immerhin ein bisschen Sinn und Selbstwertgefühl zu gewähren. Ob als Schwarze*r in Brooklyn («Do The Right Thing», 1989), als Bewohner der Pariser Banlieue («La Haine», 1995) oder der Wohnwagenstadt Detroit («8 Mile», 2002).

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Ein bisschen Heilung findet Tato auch auf dem abgelegenen Land. © ZVG

«La ciudad de la fieras» wird am FIFF zum ersten Mal in Schweizer Kinos gezeigt. Er ist Teil der Sektion «Hip-hop Culture», die zehn Filme aus dem Genrekino der letzten Jahre präsentiert. Hip-Hop steht heuer auf dem FIFF-Programm, weil er kürzlich 50 Jahre alt wurde – der Sommer 1973 gilt als Geburtsstunde des Musikstils, der Lifestyle und weltweite Jugendkultur wurde.

Ästhetischer Thriller

Insgesamt zeigt das FIFF 100 Filme aus fast 50 Ländern, ein Dutzend treten im Internationalen Wettbewerb gegeneinander an. Auch hier geht es in Richtung Arthouse-Kino, etwa mit der Schweizer Premiere des chinesischen Thrillers «Only the River Flows», der ans Herz zu legen ist: Der buchbasierte Film noir nimmt ins ländliche Gebiet Südchinas Mitte der 1990er-Jahre, wo sich mysteriöse Morde ereignen. Polizist Ma Zhe soll aufklären, doch im Weg stehen ihm nicht nur merkwürdig stille Zeug*innen, sondern alle Beteiligten. Auch die Angehörigen der Opfer scheinen in undurchsichtige Dinge verstrickt.

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Atmosphärisch-gut: Detektiv Ma Zhe muss einen mysteriösen Fall lösen. © ZVG

Es ist nicht bloss die Geschichte von «Only the River Flows», in der alle Beweise dem Polizisten durch die Hand gleiten (was sich auch in seinem immer exzessiveren Rauchen äussert), die fesselt. Genauso einnehmend ist die Bildsprache im körnigen Look des 16-mm-Filmformats, sind der Regen und Nebel und das Spiel mit Metaphern und mystischer Musik. Es scheint fast, als würden das permanente Nass und das darin untergehende Kaff alle Fakten rund um den Fall aufweichen und zerbröseln. Der durchaus politische Thriller dürfte am FIFF für einen ästhetischen und atmosphärischen Höhepunkt sorgen.

Diverse Orte, Freiburg. Fr., 15.3., bis So., 26.3.

  • «La ciudad de la fieras»: Kino Arena, Freiburg. Mo., 18.3., 21 Uhr und Do., 21.3., 17.45 Uhr
  • «Only the River Flows»: Diverse Orte und Spielzeiten

www.fiff.ch

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Vittoria Burgunder
Vittoria Burgunder
Stellvertretende Redaktionsleiterin

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