Hier führt der Körper
Das Museum für Kommunikation wird zum Dancefloor: Die neue Wechselausstellung «Dance!» ist ein Selbsterfahrungstrip, der Lust macht auf Bewegung – und en passant erklärt, warum das so ist.
Wenn es eine Konstante gibt in den Wechselausstellungen des Museums für Kommunikation, dann ist es das Überraschungsmoment. Im vergangenen Jahr war verabschiedete sich der langjährige Kurator Kurt Stadelmann – mit einer Wunschausstellung über das alltägliche bis metaphysische «Nichts». Der philosophische Hintersinn lief im Ausstellungsparcours mit und lud zum Ausschwärmen auf zig Metaebenen, etwa über die Löcher im Emmentaler. Wem das zu verkopft war, der*die darf sich nun auf eine Ausstellung freuen, in der man den Intellekt getrost zu Hause lassen darf. In der neuen Wechselausstellung «Dance!» führt der Körper. Am Ende des Parcours ist man klüger – und obendrauf beweglicher, glücklicher und entspannter. Denn das wichtigste Element der Ausstellung sind die Besucher*innen selbst. Auch in dieser Ausstellung werden Erwartungen also unterlaufen.
«Wir bauen auf das eigene Erleben – und was Tanz mit uns Menschen macht», erklärt Ausstellungsmacherin Alexandra Heini, die seit vier Jahren Teil des Teams ist. Es ist ihre erste Schau, die sie nun unter ihrem Namen für das Haus verantwortet. Sie setzt dabei auf einen Rundgang, der, im wahrsten Sinne des Wortes, viele Räume zur Selbsterforschung bietet. Ein interaktiver Audioguide liefert den Soundtrack zu den visuellen und haptischen Stationen. Und so beginnt die Ausstellung ganz einfach mit einer Einladung, vor Ort und im eigenen Körper anzukommen: Wie fühlt sich die Situation aussen an? Und wie der Raum innen? Wie geht der Atem?
Besser als Kreuzworträtsel und Lesen!
Und dann sind wir auch bereits mitten im Geschehen, denn einmal um die Ecke gebogen wartet ein Videoscreen mit Tanzvideos. Das ist ungleich spannender als ein Vita-Parcours! Es ist schwierig, beim Uptempo-Soul von Pharrell Williams’ Kultsong «Happy» nicht alle möglichen Körperteile in Schwung zu bringen und zu verdrehen. Doch genau das ist die Aufforderung an die Besucher*innen: Sich eben nicht zu bewegen, der Versuchung zu widerstehen – und umso mehr zu fühlen, wie der Beat und der Blick auf die tanzenden Menschen auf den Screens nach dem eigenen Körper greifen. Es ist eine Qual, stillzustehen. Warum das so ist, das ist, wohldosiert, auf Infowänden zu erfahren. Der eigene Herzschlag und Synkopen mit unbetonten Schlägen spielen eine Rolle, aber auch Spiegelneuronen, Evolutionsbiologie und ein Protein namens BDNF wecken den Tanzdrang. Zusammenfassen liessen sich die bisherigen Erkenntnisse der Forschung so: Menschen bewegen sich gern im Takt mit anderen Menschen. Sich rhythmisch und symmetrisch zu bewegen, beruhigt und tut gut. Richtig gut. Wer tanzt, vermindert sein Demenzrisiko um 76 Prozent – und lässt damit Kreuzworträtsel und Lesen ziemlich weit abgeschlagen hinter sich.
.jpg)
Dance Dance Revolution!
Hier also noch das wissenschaftliche Gütesiegel dessen, was der Körper doch sowieso fühlt. Wie dem auch sei – von nun an gibt es auch für Bewegungsskeptiker*innen keine Ausrede und kein Halten mehr im Ausstellungsparcours, den Heini und ihr Team auf die Beine stellten. Da darf allen Orts nachgehüpft, mitgewippt und rumgedreht werden. Studierende der Hochschule Luzern etwa entwickelten eigens für die Ausstellung eine interaktive Installation, die auf die Bewegungen der Besucher*innen reagiert. Und ein Simulator, der an das japanische Spielhallen-Game «Dance Dance Revolution» angelehnt ist, fordert dazu auf, die Füsse in immer schnellerer Abfolge auf einer Tanzmatte zu bewegen – bis zum Game over.
Verschnaufen lässt sich zwischen der Beinarbeit sehr gut bei den ruhigeren Stationen. Hier kommen Berner Tanzschaffende wie Anna Huber zu Wort und ins Bild – oder Whaaking-Pionierin Tamara Mancini. Beim Whaaking, einem expressiven US-amerikanischen Streetdance, der im queeren Untergrund entstand, werden Arme und andere Gelenke in schwindelerregender Geschwindigkeit rotiert. Sehenswert aber auch das Tanzvideo der inklusiven Tanzcompagnie Beweggrund. Die eigens entwickelte Performance entstand in den noch leeren Ausstellungsräumen des Museums. Menschen mit und Menschen ohne Behinderungen finden darin zu einer tänzerischen Sprache. Tanzen, das zeigen die bewegten Körper, kennt kein richtig oder falsch. Es ist befreiend.
Tun Sie es einfach!
Und ja, auch das politische Potenzial des Tanzes hat seinen Auftritt: Ob die chilenischen Frauen mit der Protestchoreografie «El Vialodor eres tu» («Der Vergewaltiger warst du») gegen Femizid und sexualisierte Gewalt auf die Strasse gehen, oder ob die Berner Jugend bei den Tanz-dich-frei-Aktionen als pulsierender Körper durch die Innenstadt wogt – die Protestvideos zeigen: Tanz ist alles andere als harmlos. Tanz entwaffnet – und hat gerade darum Macht, Ordnungen zu stürzen. Auch das ist eine Erkenntnis, die man von dieser lustvoll und mutig kuratierten Ausstellung mit nachhause nehmen kann. Doch die wichtigste Erfahrung: Tanzen tut gut. Jede*r kann es. Alleine oder gemeinsam. Tun Sie es einfach.