Hier ist alles ein bisschen eigenartig
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Hier ist alles ein bisschen eigenartig

Film
Veröffentlicht am 04.06.2024
Vittoria Burgunder
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«Electric Fields» ist ein enigmatischer Spielfilm in Schwarz-Weiss. In verschiedenen Episoden werden Figuren auf unerklärliche Weise aus der alltäglichen Normalität gerissen. Das Kinodebüt der Berner Filmemacherin Lisa Gertsch, zu sehen im Kino Rex, ist ein kurzweiliges Rätsel, auf dessen Auflösung man vergebens wartet.

Der neue Schweizer Film «Electric Fields» kommt in Schwarz-Weiss daher – und reiht sich damit ein in einen aktuellen Trend. Es scheint, als würden wieder mehr Filmschaffende zum entfärbten Bild zurückfinden. Spontan lassen sich aktuell etwa der italienische Hit «C’è ancora domani», der Schweizer Mystery-Thriller «Die Theorie von allem» oder die auf Patricia Highsmiths Roman basierende Netflix-Serie «Ripley» nennen. Und obwohl hinter jedem Neo-Schwarz-Weiss-Film ein durchdachtes Konzept stecken mag, erschliesst sich nicht immer, warum nun genau dieses reduzierende Stilmittel gewählt wurde.

Im Kinodebüt «Electric Fields» der Berner Filmemacherin Lisa Gertsch, die für den Low-Budget-Film als Produzentin, Drehbuchautorin und Regisseurin wirkte, macht das jedoch durchaus Sinn.

Das Radio erweckt den Toten

Denn wir haben es hier mit einem filmischen Rätsel zu tun, das in verschiedenen Episoden im Kurzfilmstil von Menschen erzählt, die durch eine merkwürdige Wendung aus dem vertrauten Tagesablauf gerissen werden: Ein Mann erwacht hier etwa in einer anderen Jahreszeit wieder und spricht auf Italienisch statt auf Schweizerdeutsch. Eine Frau befindet sich in einem Moment in einer Schweizer Dorfkneipe, im nächsten sitzt sie in einer Bar mitten in Rom. Ein Toter öffnet die Augen, sobald sein trauernder Sohn am Bett das Radio anmacht – und ist wieder tot, wenn dieser es ausschaltet.

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In «Electric Fields» werden Jahreszeiten verschlafen und anschliessend ein Baum umarmt. © Vinca Film

Das Schwarz-Weiss schafft hier die nötige Distanz zur Realität, denn diese seltsamen Kurzgeschichten sind höchst wirklichkeitsfremd. In den insgesamt sechs Episoden sucht man vergebens nach einer Erklärung, am Ende bleibt nur die tragisch-komische Atmosphäre. Es seien tiefe Sehnsüchte der Figuren, die hier in Erfüllung gehen, schreibt Gertsch selbst über die Wendungen in ihrem Debüt.

Surreal wie die Gespräche

Das zieht sich weiter durch die wenigen Dialoge, die meist auf Mundart, Deutsch, aber auch auf Italienisch und Französisch geführt werden. Die (Selbst-)Gespräche muten oft eigenartig, aber nicht gekünstelt an. So sagt die Kundin dem Fachmann, der ihre Lampe, die auch ohne Stromzufuhr weiterleuchtet, zu reparieren versucht, mal aus dem Nichts, er habe schöne Hände. Der Satz bleibt ohne Reaktion im Raum stehen.

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Eine Frau bringt ihre immerleuchtende Lampe zur Reparatur – was zu einer merkwürdig-schönen Begegnung führt. © Vinca Film

Allerdings schafft es «Electric Fields» trotzdem, wenn auch überspitzt, Parallelen zum echten Leben zu ziehen. Etwa wenn eine Angestellte in spe im Smalltalk mit ihrer künftigen Chefin in die Mangel genommen wird. Die Figur wird immer devoter und die Situation für die Zuschauenden immer unbehaglicher.

Das Einzige, das hier nicht so reduziert wie das Bild und so eigenartig wie die Geschehnisse ist, ist der Ton. Vielleicht gerade, weil das Drumherum so nebulös daherkommt. Jedes Atmen, das Knarzen eines Parkettbodens, Schritte über Pflastersteine, Vogelgezwitscher und Wind wirken richtig laut.

Die 80 Minuten von «Electric Fields», der im Übrigen auch durch das 4:3-Bild aus den heute gängigen Formaten fällt, sind schnell vorüber. Nicht nur das Episodische, sondern auch die totale Unvorhersehbarkeit der Handlungen, sorgt dafür, dass man dranbleibt am Rätsel ohne Auflösung.

An der Vorpremiere im Kino Rex ist die Filmemacherin Lisa Gertsch anwesend. Ebenso die Darsteller*innen Michael Neuenschwander, Sabine Timoteo und Julia Jentsch. Wer Fragen hat, findet hier vielleicht Antworten.

// Kino Rex, Bern

Vorpremiere in Anwesenheit der Regisseurin und Darstellenden: Mo., 10.6., 20 Uhr

Geplanter Start: 20.6.

www.rexbern.ch

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Vittoria Burgunder
Stellvertretende Redaktionsleiterin

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