«Ich konnte nicht einmal meinen Kindern Adio sagen»
Entmündigt, fremdplatziert oder verdingt: Im Bernischen Historischen Museum rückt die neue Ausstellung «Vom Glück vergessen» die fürsorgerischen Zwangsmassnahmen in Bern in den Fokus.
Um einige Zahlen im Voraus zu nennen: Hunderttausende von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen waren zwischen 1850 und 1970 von den staatlichen fürsorgerischen Zwangsmassnahmen betroffen. Allein im Kanton Bern rechnet man mit 50'000 Opfern. Viele von ihnen leiden noch heute darunter. Zumeist ohne Gerichtsurteil landeten von Armut Betroffene oder Menschen, die nicht der Norm entsprachen, in Kinderheimen, auf fremden Bauernhöfen oder in Straf- und Arbeitsanstalten. Der Grund für den staatlichen Eingriff: Bekämpfung der Armut und Wiederherstellung der sozialen Ordnung.
Was das für die Fremdplatzierten, Verdingten und Entmündigten bedeutete, ist nun im Bernischen Historischen Museum zu sehen. Die Ausstellung «Vom Glück vergessen», die ursprünglich fürs Rätische Museum in Chur entwickelt wurde, beleuchtet dieses dunkle Kapitel der Schweizer Geschichte, indem es Betroffene zu Wort kommen lässt. Die Historikerin und Kuratorin Tanja Rietmann, die breit dazu geforscht hat, konzipierte den erschütternden Rundgang eigens für den Raum Bern neu.
Die Besucher*innen begeben sich mitten in die Lebenswelt der insgesamt fünf Protagonist*innen. Szenografin Karin Bucher hat dazu immersive Räume entworfen, die ausschliesslich aus Karton bestehen und begehbar sind. Im Stall, Anstaltszimmer oder Waschraum werden die Einzelschicksale durch Audiospuren von Zeitzeug*innen und Originaldokumenten erlebbar. Eine der Protagonist*innen, Sofia Albin (Name geändert), erzählt: «Ich konnte nicht einmal meinen Kindern Adio sagen.» Ihre Familie wurde aufgrund ihrer Armut auseinandergerissen und fremdplatziert. Die Vormundschaftsbehörde deklarierte die Mutter als ‹nicht den bürgerlichen Normen entsprechend› und schickte sie in eine psychiatrische Klinik. Einige ihrer Kinder sah sie nie mehr wieder.

Wenn der Sternenhimmel eine Geschichte erzählt
Heute ist offiziell anerkannt, dass den Opfern der fürsorglichen Zwangsmassnahmen Unrecht geschah. Die eigens für das Historische Museum kreierte Installation «Namen gegen das Vergessen» zeigt Tausende von weissen Punkten, einige mit Namen versehen. Der Sternenhimmel ist eine Würdigung und Anerkennung der Leidtragenden – und leuchtet gegen das Vergessen.
