Im Bild Nº2 – Marisa Merz, Ohne Titel, 1982
Der biblischen Geschichte nach erschuf ein Wesen namens Gott die ersten Menschen aus Lehm. Ich stelle mir vor, dass dieses göttliche Tun auch ziemlich viel Spass mit in die Welt brachte, falls es den zuvor noch nicht gab. (Was schade wäre, denn dann wäre es kein Vergnügen gewesen, die Erde vom Meer zu teilen und die Tiere und die Pflanzen zu kreieren.) Persönlich mag ich es sehr, eine knetbare Masse mit meinen Händen zu formen. Wenn ich mich selbst nicht so richtig spüre, ist es Zeit, Brot zu kneten. Nichts fühlt sich besser an, als die Finger in formbarem Teig zu vergraben und mich dem Tasten der Hände zu übergeben.
Wie dem auch sei – geformt hat diesen unglaublich sinnlichen Klumpen aus ungebranntem Lehm, der mich auf Schöpfungsgedanken bringt, die italienische Künstlerin Marisa Merz im Jahr 1982. Ich kann mich nicht daran sattsehen, möchte ihn anfassen. Merz, Vertreterin der italienischen «Arte Povera», arbeitete mit einfachen Materialien wie Ton, Draht, Stoffen. Sie schuf daraus Installationen, sie zeichnete und malte aber auch mit derselben Liebe zum Material und zum Gegebenen. Zu erleben sind ihre Werke im Kunstmuseum Bern. «Ascoltare lo spazio» heisst die Retrospektive der Künstlerin, die 2019 in Turin verstarb.
Ich nehme in diesem Klumpen, noch ganz ohne Titel, Anfänge und Züge von Gesichtern wahr, Augen, Münder, ein Ohr. Ich meine Dellen, Furchen und Falten aus Fleisch zu entdecken, Einbuchtungen, noch Ungenaues, Ungefähres. Ein Klumpen Mensch im Werden, zart, embryonal, kugelmenschig, unbeschreiblich weiblich, weich, lustig; sind die Reissknöpfe, die ein Netz aus Draht zusammenhalten, das nichts verbirgt und nichts zusammenhalten muss, sind diese Knöpfe Äuglein?
Hier ist alles Assoziation, Kreation, Gewebe, Erde, erdig, rund. Kein Genie war hier am Werk, sondern eine zärtliche Neugier und Offenheit, die dem Material und der Materie das Werden überlässt, ihm zum Sein verhilft. Wie sich wohl die Hände von Marisa Merz anfühlten, als sie den Klumpen berührte?
Wer weiss, vielleicht schuf auch dieses allererste Wesen die Menschen nach dem Gefühl und dem Gespür, dem göttlichen Hände folgten. Mehr Hebamme als Baumeister*in.