Lied auf einen Sozialisten
Der junge Fritz Jordi aus Belp machte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf Walz durch ganz Europa – und kehrte als überzeugter Linker zurück, der den Sozialismus in jeder Hinsicht lebte. Mit «Sang von einem Siedler und Drucker» widmet der Berner Autor, Dramaturg und Illustrator Andri Beyeler dem Druckersohn, der im Tessin eine linke Kolonie begründete, eine facettenreiche und illustrierte Mundartballade, die viele Stimmen zu Jordis Leben zum Singen bringt. An der Buchtaufe im Progr ist Schauspieler Sebastian Krähenbühl dabei.
Fritz Jordi war ein unternehmungslustiger Drucker und Setzer, der in der Druckerei seines Vaters nach seiner Lehre ein sicheres Auskommen hätte finden können. Ihn zog es erst einmal auf die Walz durch halb Europa. Als er zurückkam, war er überzeugter Sozialist.
Was er von da an unternahm, stand ganz im Dienst der Idee einer neuen, gerechteren Gesellschaftsordnung. Wo immer er seine Druckmaschinen installierte, in Belp, Biel oder Bern, er druckte für die «Bewegung»: hier eine Schrift von Lenin oder Trotzki, dort eine Arbeiterzeitung, hier eine Zeitschrift für Gewerkschaften, dort eine für die kommunistische Partei der Schweiz. Seine Publikationen hatten kein langes Leben. Sie wurden eingestellt wegen Geldmangels, wegen politischer Zerwürfnisse. Oder weil sie von den Behörden verboten und in einer der zahlreichen Hausdurchsuchungen konfisziert wurden.
Visitenkarte der Kolonie
Das gilt auch für Jordis bekanntestes Druckerzeugnis «Fontana Martina», das im gleichnamigen Weiler über Ronco im Tessin entstand. In Fontana Martina gründete Fritz Jordi eine Künstlerkolonie, die auf ihrem Höhepunkt Anfang der dreissiger Jahre zu einem Treffpunkt linker Künstler und Aussteiger wurde. «Fontana Martina» war die künstlerische Visitenkarte der Kolonie, mit Originalholzschnitten unter anderem von Carl Meffert (später Clément Moreau); innerhalb eines Jahres erschienen 21 Ausgaben, dann war es vorbei. Ab Mitte der Dreissigerjahre wurde es still im Weiler, Jordi starb 1938 in einer weitgehend verwaisten Siedlung.
Vielstimmige Partitur
Dieses Leben am Rand der Gesellschaft und zugleich im Zentrum der grossen sozialen Bewegungen der Zeit hält einen spannenden Mix von Themen bereit: Kampf für den Sozialismus; Liebe und Entsagung; Anarchismus, Bohème und Kommune; nicht zuletzt eine berührende Mutter-Sohn-Beziehung. Der in Bern lebende Dramaturg und Theaterautor Andri Beyeler entgeht in seiner aussergewöhnlichen Biographie der Versuchung, daraus das grosse Epos zu machen. Er tut mehr: Er lässt die Fakten sprechen. Vielmehr singen. Er komponiert aus dem umfangreichen Material, das er zusammengetragen hat, eine vielstimmige Partitur. Einen «Sang», wie man ihn so noch nicht gehört hat.
Der «Sang von einem Drucker und Siedler» geht zurück auf eine Reihe von Zeitungskolumnen in der «Schaffhauser AZ», in denen Beyeler die ersten 18 Folgen des späteren Buches veröffentlichte. Das Kolumnenformat gab die äussere Form vor. Alle 35 Abschnitte sind von gleicher Länge. Sie führen chronologisch durch Jordis Leben, jeder von ihnen greift daraus eine Episode oder einen besonderen Aspekt heraus. Wie aber bringen sie das trocken-biographische Material zum Swingen? Andri Beyeler hat sich für eine in vieler Hinsicht bemerkenswerte Umsetzung entschieden.
Zerrissen zwischen Utopie und Realität
Zum einen lässt er die vorkommenden Personen selbst sprechen. Er zitiert aus Fritz Jordis Gedichten, aus Briefen seiner Geschwister, seiner Mutter, seiner Freunde, aus Artikeln in Zeitungen und Zeitschriften, aus Berichten von Polizei und Staatsanwaltschaft, aus Büchern über Jordi. Die Zitate, meist in indirekter Rede auf wohltuende Distanz gehalten, werden soweit nötig situiert und kaum kommentiert, sie sprechen für sich. In ihrer Summe ergeben sie ein erstaunlich authentisches, facettenreiches Bild. Sie runden sich bei allen Lücken, die das Material offenlässt, zum berührenden Porträt eines zwischen Engagement und Privatleben, zwischen Utopie und Realität zerrissenen Zeitgenossen.

Charme und Bänkelsang
Zum andern sind die Abschnitte durchgehend in Strophenform gehalten. Sie lesen sich als Teile eines langen Gedichts und grundieren das durch Arbeit gezeichnete Leben Jordis mit Poesie – wie sie dieser in seinen Versen und in der Abgeschiedenheit der Berge selber gesucht hat. Hinter dem durchgehenden Rhythmus ist Andri Beyelers Bühnenerfahrung spürbar; der Erzähler springt gekonnt vor und zurück, spielt mit Wiederholungen, changiert zwischen Ernst und Ironie. Der «Sang», es ist deutlich zu spüren, ist auch für den Vortrag auf der Bühne geschrieben.
Als Dramaturg hat Andri Beyeler verschiedentlich Mundartbearbeitungen von Theaterstücken gemacht. Dass er einen biographischen Stoff in die Mundart setzt, ist dennoch aussergewöhnlich. Er hat dazu seine mehrheitlich in Hochsprache gehaltenen Quellen samt und sonders in den Dialekt übertragen, in seinen, den Schaffhauser Dialekt – eine ebenso mutige wie überzeugende Entscheidung. Wir hören dem Erzähler zu wie einem Bänkelsänger, der uns das dramatische Geschehen in Versen der Umgangssprache zur Kenntnis bringt. Die sachliche, fast spröde Art, wie er berichtet, erhält durch seine alltagsnahe Sprechweise eine vertraute Nähe und einen persönlichen Charme. Wenn er davon spricht, wie es auf Fontana Martina zuging, klingt das zum Beispiel so:
Und da sind die Illustrationen. Andri Beyeler hat zu jedem Abschnitt ein Bild gestaltet, das zusammen mit dem Text auf einer Doppelseite des grossformatigen Bandes steht, links der Text, rechts das Bild. Seine Bilder sind, in ihrer Anmutung eines Holz- oder Linolschnitts, den künstlerischen Beiträgen in damaligen antifaschistischen Publikationen nachempfunden. In einer ausdruckstarken Schwarzweisstechnik, durchbrochen von Rot, zeigen sie typisierte Gestalten und Gesichter, entwerfen mit wenigen Strichen eine Landschaft, eine Szene.
Bilder in schwarzweiss, durchbrochen von Rot
Eingearbeitet sind Spuren historischer Dokumente: Titelseiten von Broschüren, Ausrisse aus «Fontana Martina», Unterschriften aus amtlichen Briefen. Was der Text an politischen Auseinandersetzungen und menschlichen Schicksalen erzählt, wird von ihnen in der Bildsprache der damaligen Zeit parallel mitgestaltet. Zusammen entfalten Erzählung und Bilder einen Sog, der bis zur letzten Seite nicht nachlässt.