Mal gemeinsam Atem holen, mal vielstimmig eigensinnig
 Minuten Lesedauer

Mal gemeinsam Atem holen, mal vielstimmig eigensinnig

Klassik
Veröffentlicht am 18.06.2024
Susanne Leuenberger
 Minuten Lesedauer

Arte Frizzante machen klassische Orchestermusik, und das sehr unklassisch: Das junge Ensemble funktioniert ohne Hierarchie: Die künstlerische Leitung sind alle. Im Bienzgut in Bümpliz feiern die Musiker*innen ihr 10-jähriges Zusammenspiel unter anderem mit Tschaikowsky, Biber und Bartók. Und natürlich mit dem Publikum.

Wenn Arte Frizzante etwas nicht sind, dann ist es erwartbar oder vorhersehbar: Mal sind die 21 Musiker*innen als Orchester, mal auch in reduzierten kammermusikalischen Formaten oder als Begleitensemble unterwegs. Auch wie die nächste Spiel- und Konzertsaison aussieht, das bestimmen alle gemeinsam.

Denn eine künstlerische Leitung kennen Arte Frizzante nicht, oder anders gesagt: Die künstlerische Leitung, das sind alle in diesem jungen Klassikorchester. «Wir funktionieren sehr basisdemokratisch» erklärt Ensemblemitglied Nevena Tochev, und gerade das sei das Reizvolle. So wurde auch über das Festprogramm anlässlich des 10-jährigen Bestehens von Arte Frizzante abgestimmt.

Cineastisch, beschaulich, feierlich

«Wir spielen quasi die Highlights unseres erspielten Repertoires.» Allesamt ausdrucksstarke Werke geben sie zum Besten: Nino Rotas cineastisches «Concerto per archi» ist darunter, Alfred Elgars beschauliche «Serenade for Strings» oder Tschaikowkys feierlicher «Walzer» aus der Serenade in C-Dur; letzterer ist ein persönlicher Favorit der Geigerin Tochev, die in Bern, Luzern und Salzburg studierte und neben Arte Frizzante vor allem kammermusikalisch unterwegs ist. So ist sie auch Teil des Streichtrios Triologie und des Nerida Quartett.

Nevena Tochev gehört zu den Gründungsmitgliedern, die damals allesamt im Studium waren und im Begriff, eine musikalische Karriere einzuschlagen. Sie ist zurzeit gemeinsam mit dem Violinisten Emanuele Zanforlin Konzertmeisterin von Arte Frizzante. Eine Aufgabe, die alle im Turnus mal übernehmen. «Es ergibt einfach Sinn, die Proben zu moderieren, sonst wird es chaotisch.»

«Wir diskutieren viel, müssen uns zusammenraufen und finden. Dafür sind wir immer wieder bereit und in der Lage, Dinge auch über den Haufen zu werfen – oder mal was zu wagen.»
— Nevena Tochev, Ensemblemitglied Arte Frizzante

Sie gaben mehr Energie rein

Abgesehen davon setzt man aber auf die Mitsprache aller; ein sehr untypisches Vorgehen in der klassischen Orchestermusik, die zu Hierarchie tendiert. Alle musikalischen, aber auch die organisatorischen Dinge werden gemeinsam festgelegt. Das verlange Commitment, schweisse die Gruppe aber auch zusammen. «Wir diskutieren viel, müssen uns zusammenraufen und finden. Dafür sind wir immer wieder bereit und in der Lage, Dinge auch über den Haufen zu werfen – oder mal was zu wagen.»

Ein Wagnis war es zum Beispiel, als man vor zwei Jahren beschloss, eine richtige Saison zu planen. Zuvor gab es jeweils einfach zwei Orchester-Programme im Jahr und das wars. «Wir merkten, dass wir den Faden und den Elan etwas verloren, weil sich alle auch in anderen Projekten engagierten und alles sich zu verzetteln drohte. Uns war klar, dass wir mehr Energie reingeben müssen – und wollen.»

Jede Stimme trägt Verantwortung

Seither planen die Musiker*innen saisonal, neben den zwei bewährten Orchesterprogrammen sind kammermusikalische Auftritte und Chorkonzerte dazugekommen. Arte Frizzante funktionieren so modular.

Fast eine Metapher für dieses basisdemokratische Zusammenspiel ist Béla Bartóks wechselhaftes Divertimento, das ebenfalls am Jubiläumskonzert erklingt: Ein komplexes Stück, das von jedem einzelnen Instrument viel abverlangt. Jede Stimme trägt Verantwortung und auch gemeinsames Atemholen gehört dazu.

Doch mit Heinrich Ignaz Franz Bibers barocker «Battalia A 10» für 10 Streicher*innen wirds auch mal vielstimmig eigensinnig, wenn etwa das Orchester einen betrunkenen Soldatengesang imitiert: Jeder Soldat singt da sein eigenes Lied, in anderer Tonart. Und auch sonst sind die Spieltechniken des Schlachtstücks überraschend modern: Stampfen ist ebenfalls Teil davon.

Es scheint, dass es für Arte Frizzante im wahrsten Sinne prickelnd und anregend bleibt. Und für das Publikum erst recht.

//Bienzgut, Bümpliz

Sa., 29.6., 17 Uhr (anschliessend Aperitif und Buffet, Grillgut selber mitbringen)

www.artefrizzante.ch

Artikel des/derselben Autor:in
Susanne Leuenberger
Susanne Leuenberger
Redaktionsleiterin

BKa abonnieren

Dieser und unzählige weitere Artikel sind auch in gedruckter Form erhältlich. Die Berner Kulturagenda erscheint zweiwöchentlich und beleuchtet das Berner Kulturgeschehen.