«Manchmal weiss man nicht mehr, ob man lachen oder weinen soll»
Ein Freilichttheater entlarvt das Schweizer Einbürgerungsverfahren als willkürlich und absurd: «Da chönnt ja jede cho!» des Theater Gurten versetzt in die Schweizer Gemeinde Hinterschnösligen. Aus ihrer Recherche über die Messlatte von Einbürgerungsverfahren in Schweizer Gemeinden schufen Livia Anne Richard und Christoph Keller ein Theaterstück, bei der sich auch das Publikum ertappt fühlen dürfte.
Cecilia Ngafor Fri kennt das Hin und Her mit den Behörden nur zu gut: Um sich hierzulande aufhalten zu dürfen, muss die 30-jährige Schauspielerin, die als Teenager aus Kamerun in die Schweiz kam, regelmässig antraben. Zum Beispiel muss sie jährlich ihre Deutschkenntnisse unter Beweis stellen. Daran ändert auch ihr breites Berndeutsch, mit dem sie einen begrüsst, oder die Tatsache, dass sie sich in Berlin zur Schauspielerin hat ausbilden lassen, nichts. «Dieser absurde, aber auch belastende Kampf um den Aufenthalt, das beschäftigt mich seit langem stark», so Ngafor Fri. Mit der Figur Anna, die sie im Stück «Da chönnt ja jede cho!» verkörpert, könne sie sich daher nur zu gut identifizieren. «Vieles, das Anna durchmacht, kenne ich aus meinem eigenen Leben.»
Nach Theaterstücken wie «flöört.ch» (2022) oder «Abefahre» (2018) ist «Da chönnt ja jede cho!» die sechste Uraufführung des Theater Gurten. Bis Ende August zeigt das Ensemble auf dem Berner Hausberg, bestehend aus professionellen Schauspielenden und Lai*innen aus fünf Nationen, wie Schweizer Einbürgerung geht. Die Kompliziertheit beginnt damit, dass Gemeinden bei der Ausgestaltung ihrer Einbürgerungsverfahren ziemlich frei sind. Auch die fiktive Gemeinde Hinterschnösligen.
«Wüssten Sie das?»
Anna Ngannou ist eine der Figuren, die sich hier durch ihre Migrationserfahrung benachteiligt wiederfindet. Sie überlegt, sich einbürgern zu lassen. Doch wie sich beim Apéro mit Sandro Frei vom Amt für Migration (gespielt von Stephan Hugentobler), herausstellt, sind die Anforderungen fragwürdig und streng: Der Lebenslauf muss absolut lückenlos, das Deutsch getestet und attestiert und der Aufenthalt in der Gemeinde ohne Unterbruch sein. Und bei den irgendwie doch nutzlosen Wissensfragen, die Anna hier zu hören bekommt, wird sich auch das Publikum – ob Schweizer Pass oder nicht – dabei ertappen, ziemlich ahnungslos zu sein. «Oder wissen Sie vielleicht, von wie vielen Kilometern Autobahn die Schweiz durchzogen ist?», fragt Ngafor Fri. Nein ist wohl die Antwort aller, die das kleine Heftli mit rotem Umschlag in die Wiege gelegt bekamen.
Ahnungslos, das sind zum Teil auch die Beamt*innen in «Da chönnt ja jede cho!», welche darüber entscheiden, ob nun jemand das Bürgerrecht erlangt oder nicht. Das zeigt die Szene, in der Anna Ngannou über ihre Deutschkenntnisse ausgefragt wird. Als sie erwähnt, sie studiere Germanistik, kommt postwendend zurück: «Geranistik? Was soll das sein?»
Der Schweizer Pass wird zur Bühne
Auf der Erhöhung neben dem Gurten-Restaurant steht momentan ein grosses Schweizer Kreuz auf rotem Grund. Dem Freilichttheater dient der Umschlag des Schweizer Passes als Bühnenbild, wobei das aus Gerüsten gebaute Kreuz auch als Wohnhaus in Hinterschnösligen fungiert. Jedes Quadrat des Kreuzes bildet eine Wohnung, im Erdgeschoss befindet sich das Café, in dem Anna Ngannou arbeitet. Im Haus wohnen auch Menschen aus Deutschland, Italien oder dem Tessin.
Die Schweizermacher lassen grüssen
Bisher verantwortete Theaterautorin und Regisseurin Livia Anne Richard die künstlerische Leitung des Theater Gurten allein. Für «Da chönnt ja jede cho!» ist nun Christoph Keller, der bei vergangenen Produktionen als Schauspieler auf der Bühne des Theater Gurten zu sehen war, als Co-Autor und Regisseur dazugekommen. «Die Schweizermacher» völlig neu zu denken, das war die Grundidee, erzählt Richard. Als sie sich den Film von 1978 mit Emil Steinberger und Walo Lüönd in den Rollen der gnadenlosen (und auch etwas dümmlichen) Beamten ansah, wusste sie, das ist so nicht mehr zeitgemäss. «Das Frauenbild im Film geht im Jahr 2024 gar nicht mehr». Und so sind die Frauenfiguren in «Da chönnt ja jede cho!» stark. Dazu gehört auch Anna Ngannou, die sich etwa für eine mexikanische Cafébesucherin einsetzt, als diese wegen ihres Aussehens von der Polizei kontrolliert wird.
Mit «Da chönnt ja jede cho!» künden Richard und Keller eine Realsatire an. Doch kann fiktiver Stoff so bezeichnet werden? Ja, findet das Regieduo: «Wir sind mit unserer Recherche tief eingetaucht. Es gibt in der Schweiz 2131 verschiedene Wege zur Einbürgerung, genauso viele, wie es Gemeinden gibt. Der Stoff stammt also aus der Realität und ist dermassen absurd, dass man manchmal nicht mehr weiss, ob man lachen oder weinen soll. Das Publikum wird beides können.»
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