Mehr als die Einzelteile
Das Musikfestival Bern steht dieses Jahr unter dem Motto «Kette». Composer in Residence ist die elektronische Musikerin Svetlana Maraš, die Arbeit mit dem Prinzip der Verknüpfung arbeitet.
«Kette» ist ein vieldeutiger Begriff. Er lässt an Gefangenschaft und Einengung denken. Eine Kette kann aber auch verbinden. Und genau darum geht es heuer beim Musikfestival Bern, das verschiedenste Verkettungen ins Spiel bringt. Ganz konkret etwa in «The third extended wheel», einer technisch-industriellen Symphonie des Romanesco Duo, in der die Velokette zum Klanginstrumentarium wird. Oder bei einer musikalischen Kontaktaufnahme zu den Geistern ermordeter Vorfahren – so in den «Ghost Trance Sessions» des US-amerikanischen Komponisten Anthony Braxton.
Auch Svetlana Maraš, die diesjährige Composer in Residence, kann mit dem Prinzip der Verkettung einiges anfangen. Die gebürtige Serbin ist das Gegenteil einer isolierten Komponistin, die im stillen Kämmerlein Noten aufs Papier bringt. Ihre Arbeit beruht auf dem Zusammensetzen von Einzelteilen, und das gilt sowohl für ihre Kunst als auch für das Drumherum.
Maraš ist elektronische Musikerin – sie arbeitet mit Klangfragmenten, mit Schnipseln, die sie hier und da für sich entdeckt und kreativ weiterverarbeitet. Das kann mal in einer Collage münden. So wie in ihrer täglich zugänglichen audiovisuellen Installation «Matter of Fact» im Progr, die mittels Cut-Up-Methode kleine Ausschnitte aus Interviews mit Künstler*innen verschiedenster Herkunft neu zusammensetzt. Oder in ihrem Stück «Firekeepers», das am Eröffnungskonzert des Musikfestivals erklingen wird: Darin geht es hält ein Musikkollektiv mit kleinen Impulsen metaphorisch ein Feuer am Leben – wie kleine Holzscheite wirft jedes Ensemble-Mitglied immer wieder neue musikalische Gesten ein, worauf die Gruppe improvisatorisch reagiert. Die Performance verbindet elektronische mit akustischer Musik. Neben Maraš an der Live-Elektronik kümmern sich das belgische Ensemble Ictus und das Trio Pony Says aus Deutschland um das Feuer in der grossen Halle.
Dass die Musikerin wenig mit fixen Klangabfolgen und viel mit kleinen Elementen hantiert, kommt nicht ganz von ungefähr. Aufgewachsen im serbischen Kragujevac, zwang sie das nicht immer hochleistungsfähigen Dial-up-Internet dazu, kreative Strategien im Umgang mit Sound-Fragmenten zu entwickeln. «Mit ganzen Tracks habe ich nie gearbeitet», erzählt sie. Schon früh interessierte sie sich für die technische Seite von Klangproduktion – «Komponieren am Computer, Schnittstellen zwischen verschiedenster Hard- und Software, Audio Processing.»
Eine Musikerin als Bindeglied
Nach einem Masterstudium in Helsinki fand Maraš den Weg ans Elektronische Studio von Radio Belgrad, das sie von 2016 bis 2021 leitete. Hier erkundete sie mittels spezialisierter Hardware das Terrain elektroakustischer Musik und radiophoner Kunst. Und mit Expertenunterstützung aus Finnland und Schweden gelang es Maraš, das zentrale Instrument, den extra für das Belgrader Studio gebauten EMS Synthesizer 100, wieder funktionsfähig zu machen. Die Live-Podcasts und Radiokonzerte, die sie und ihr Team von Radio Belgrad 3 ins Leben riefen, stiessen auf grosse Resonanz.
Nach ihrer Zeit in Belgrad übersiedelte sie in die Schweiz. Seit 2021 ist sie Co-Leiterin des Elektronischen Studios und Professorin für kreative Musiktechnologie an der Hochschule für Musik Basel.
Maraš bewegt sich irgendwo zwischen der institutionalisierten, akademischen Musik und der freien Szene. Sie selbst agiert dabei als Schnittstelle – oder, um im Bild des Festivals zu bleiben, als Bindeglied. Zu erleben ist das am Musikfestival Bern, wo sie in verschiedenen Formationen zu erleben ist. So auch im Münster, wo sie gemeinsam mit dem Jazzvokalisten Andreas Schaerer performt und die Akustik des gotischen Raums erprobt. «Ich glaube, es ist wichtiger denn je, dass wir Verbindungen, dass wir Gemeinschaft stärken, auch in der Musik.»
// Diverse Orte, Bern. Mi., 3.9., bis So., 7.9.
- «Scattered Songs», Eröffnungskonzert mit Svetlana Maraš, Ensemble Ictus und Trio Pony Says: Grosse Halle der Reitschule. Mi., 3.9., 19 Uhr
- «Matter of Fact»: Progr. Mi., 3., bis Sa., 6.9., verschiedene Öffnungszeiten
- «Maraš live», Svetlana Maraš & Andreas Schaerer: Berner Münster. Do., 4.9., 21 Uhr
- «Working together», Gespräch mit Svetlana Maraš. Progr – Performance. Fr., 5.9., 15 Uhr