Meister der Vermischung
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Meister der Vermischung

Bühne Tanz
Veröffentlicht am 23.04.2024
Vittoria Burgunder
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Bern Ballett tanzt «Don Quixote». Der cinephile Choreograf Po-Cheng Tsai, Gewinner des Berner Tanzpreises 2017 und 2019, verwandelt den Ballett-Klassiker in eine moderne Illusion in rot-schwarz-weiss. Haute-Couture-Kostüme und wilde Bewegungen, für die sich das Ensemble auch von Figuren wie Hulk oder Wonder Woman inspirieren liess, dürften genauso bei Kunstfans wie bei Liebhaber*innen von Blockbustern ankommen.

Jede*r in der Tanzbranche kenne «Don Quixote», meint Po-Cheng Tsai. Miguel de Cervantes' berühmte Romane über den eingebildeten «Ritter der traurigen Gestalt», der mit seinem treuen Knappen Sancho Panza durch die spanische Landschaft reitet, werden seit dem 19. Jahrhundert als komisches Ballett aufgeführt.

Doch für den taiwanesischen Choreografen Po-Cheng Tsai hat die Ritterparodie, in der sich die gefährlichen Riesen als Windmühlen entpuppen und Don Quixote als einer, der zu viele Ritterromane gelesen hat, eigentlich wenig Komisches. «Jeden Tag erleben die Hauptfiguren Abenteuer, doch wenn das Buch zu Ende ist, hat es Don Quixote nicht geschafft, seinem Leben den gewünschten Sinn zu verleihen.» Das sei vor allem tragisch.

Weg aus der Realität und wieder zurück

«Don Quixote» ist die vierte Produktion von Bern Ballett, für die Bühnen Bern den 1987 geborenen Tsai in die Bundesstadt holt. Hier sorgt er für eine zeitgenössische, etwas abstraktere Adaption von «Don Quixote», indem er den Stoff als Tanz-Film-Theater umsetzt. Eine Szene jagt darin die nächste, ganz so wie es die Abenteuer Don Quixotes' im Roman tun. Eine stringente Handlung gibts dabei nicht. «Das Tempo und die vielen Geschehnisse sollen das Publikum zwei Stunden lang aus der Realität holen», so Tsai. «Am Ende holen wir es zurück in die Wirklichkeit – und alle werden sich verblüfft fragen, was hier eigentlich gerade alles geschah.»

Zeitgenössischer Tanz trifft auf asiatische Kampfkunst

Ein Markenzeichen Po-Cheng Tsais, der seit 2014 mit seiner Compagnie B.Dance etliche Tanzproduktionen realisiert, ist es, zeitgenössischen Tanz mit Bewegungen aus der asiatischen Tradition und Kampfkunst zu verbinden. Besonders angetan haben es ihm Martial-Arts-Moves, wie sie aus dem Kino bekannt sind. Doch passen die zu Don Quixote? «Wieso nicht?», fragt er zurück. «Ich mag es, westlichen Geschichten mit einer östlichen Tanzästhetik zu begegnen.»

Als Cinephiler versuchte Tsai für das Tanzstück in die Rolle des Filmregisseurs zu schlüpfen. Die Tanzenden wies er an, sich an Superheld*innen aus dem Marvel-Universum oder aus den «X-Men»-Filmen zu orientieren und diese in ihren Soli zu verkörpern. Die Bewegungssprache werde entsprechend kantig, angriffig und wild.

Mit «Don Quixote» habe er etwas kreieren wollen, das genauso Kunstfans anspreche, wie jene, die gern kommerzielle Unterhaltungsformate konsumieren. Da passt auch die Musik des befreundeten Sounddesigners Ming-Chieh Lee, der in Taiwan für Film und Werbung komponiert. Für das Tanzstück deutet er auch die Musik aus dem originalen Ballett des Komponisten Léon Minkus an.

«Mad Max» in Haute Couture

Epische Kämpfe der Superheld*innen verlangen epische Kostüme. Po-Cheng Tsai, Liebhaber der Fashionwelt, schuf sie selbst. Auch hier hat er sich vom Film inspirieren lassen: Verhüllte Gesichter und Federjacken erinnern an die Schurken aus «Mad Max». Seine Kostümvorlagen liess Tsai zur schicken, rot-schwarzen Haute Couture aufwerten.

Die Bühne, ebenfalls von Tsai, ist blank weiss. «Ich wollte, dass sich Don Quixote im leeren Nirgendwo abspielt, wo die Illusionen ihren Lauf nehmen können», erklärt er.

Für Po-Cheng Tsai ist es nicht ungewöhnlich, Choreografie, Kostüme und Bühnenbild zu verantworten: «In Taiwan gibt es wenig finanziellen Support für die Tanzszene. Da kommt es günstiger, alles selbst zu machen.» Er habe immer bereits das Gesamtkonzept vor Augen, wenn er sich an eine neue Produktion mache. Und deshalb, findet Tsai, sei er eigentlich nicht Choreograf: «I am a creator.»

// Vidmarhallen, Liebefeld

Premiere: Fr., 3.5., 19.30 Uhr (ausverkauft)

Vorstellungen bis 25.6.

www.buehnenbern.ch

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Vittoria Burgunder
Vittoria Burgunder
Stellvertretende Redaktionsleiterin

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