Mit dem Monster in der Wüste
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Mit dem Monster in der Wüste

Film
Veröffentlicht am 20.12.2023
Susanne Leuenberger
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Die Künstlerin Jackie Brutsche drehte einen kunstvollen Film über ihre Mutter, die sich das Leben nahm, als Brutsche zehn Jahre alt war. «Las Toreras» ist eine mutige und ermutigende Reise in die Dunkelheit, die sie mit dokumentarischer Kamera und Alter Ego Jack Torera an ihrer Seite auf sich nimmt.

«Es ist stärker, du kannst es nicht aufhalten.» Zumindest nicht im richtigen Leben. Im Film jedoch folgt Jack Torera, die Kunstfigur der Musikerin und Filmerin Jackie Brutsche, dem Monster in die Wüste und stellt es. Das Monster: die psychische Erkrankung der Mutter Carmen. Als Jackie Brutsche 10 Jahre alt war, beging Carmen Brutsche Suizid.

In der Doku «Las Toreras» macht sich die Wahlbernerin Jackie Brutsche auf die Suche nach ihrer Mutter, will wissen, wie alles kam, wer die Mutter eigentlich war. Denn auf den Schmerz legten sich Schweigen, Schuld und Scham. Der Vater Paul, Psychotherapeut aus Zürich, blieb mit Jackie und ihrem Bruder Pablo alleine zurück. Das Band zur spanischen Herkunftsfamilie von Carmen riss ab.

Es ist eine mutige Reise in eine existenzielle Dunkelheit, die Jackie Brutsche mit dokumentarischer Kamera und ihrem Alter Ego Jack Torera an ihrer Seite auf sich nimmt. Sie trifft ihren Vater, der schildert, wie er seinerseits nach dem Tod versuchte, mit den Kindern zu überleben, indem er sich in sich selbst einkapselte. Sie bleibt ruhig, als sie hört, dass die psychotischen Zustände während Carmens Schwangerschaft mit ihr zum Ausbruch kamen. 

Wut, Schmerz, Trauer und Tränen im Gesicht trägt die Kunstfigur Jack Torera, die den inneren Zustand von Jackie Brutsche ins Bild setzt. 

«Wir müssen jetzt zum Krippenspiel»

Sie hört ihrem älteren Bruder Pablo zu, wie er sich an die Nachricht vom 
 Suizid erinnert. «Ich dachte einfach. Aha, Mami ist tot, aber wir müssen jetzt zum Krippenspiel», schildert er die Unmöglichkeit, den Verlust zu begreifen. Sie macht sich auf nach Spanien, um mit den Geschwistern von Carmen zu reden, hört sich ihre Versionen der Geschichte an, mit denen sie ihrerseits das Unglück irgendwie abspalteten. Die sonnenarme kalte Schweiz sei schuld, dann wieder der kalte, dominante Schweizer Ehemann, der die lebenshungrige und freiheitsliebende Carmen in ein Hausfrauendasein und den Tod getrieben habe. Jackie Brutsche hört sich das alles mit offenem Blick an.

Und sie findet Tonaufnahmen, aber auch Zeichnungen, Gedichte und Tagebücher der Mutter, die zeigen, dass das Monster und die Kälte schon früh Eingang in ihren Körper fanden. Und wie sich die Totenstarre mit Phasen glühender Manie und überbordender Kreativität abwechselten. In den manischen Momenten sah und zeichnete sich die Mutter als Weltenherrscherin, eine Erlöserfigur mit offenen Armen.

«Las Toreras», ihr erster Langfilm, ist die persönlichste Arbeit von Jackie Brutsche, die sonst bei «The Jackets» oder im Vagina-Dress mit Partner Bone als «Sex Organs» mit Rock 'n' Roll, Ironie und Lust auf Inszenierung auf die Bühne tritt.

Mutter Pantokrator

Ihre Suche nach Mutter Carmen bricht die Verhärtungen ihrer Familie, die sich in erträgliche Überlebenswahrheiten eingeschlossen hatte, ein Stück weit auf. Dies gelingt ihr dank der ihr eigenen, absolut faszinierenden Kühnheit, ganz ohne Angst und ohne Pathos. Wut, Schmerz, Trauer und Tränen im Gesicht trägt nur die von ihr selbst verkörperte Kunstfigur Jack Torera, die zwischen den dokumentarischen Episoden auf die Leinwand tritt und den inneren Zustand der Tochter, die sich ihrer toten Mutter nähert, in kunstvolle Bilder setzt.

Und auch ein versöhnlicher Abschied von der Mutter gelingt Jackie aka Jack Torera. Der Held findet das Monster und zerschmettert es. Die Mutter kann nun befreit, als weiblicher Pantokrator, in den Himmel entschweben. «Du bist diese freie Frau, diese Künstlerin geworden, die deine Mutter immer sein wollte und nie sein konnte», sagt ein Onkel aus Spanien Jackie Brutsche zum Abschied, und umarmt sie.  

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Susanne Leuenberger
Susanne Leuenberger
Redaktionsleiterin

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