«Myn guetä Fründ in Schwarz»
Der junge Komponist Joël von Moos hat das erste Requiem auf Schweizerdeutsch geschrieben. Seine «Totämäss» erklingt im Berner Münster – sie verbindet tradierte Texte mit Neudichtungen und klassische Musik mit Volksmusik.
Eigentlich ist die Komposition eines Requiems ja eher etwas fürs Spätwerk. Die wohl bekannteste Version der musikalischen Totenmesse, jene von Mozart, war dessen letztes Stück. Verdi war bei der Uraufführung seines Requiems schon über 60. Es ist nur logisch, dass man sich mit fortgeschrittenem Alter mehr mit dem Tod auseinandersetzt.
Joël von Moos hat seine «Totämäss» bereits mit Anfang 30 geschrieben. Anfangs – das ist in der Welt der Komponist*innen nicht unüblich – nicht auf eigene Initiative: «Es war eigentlich ein Auftragswerk», erzählt er. «Leider ist diese erste Version nie aufgeführt worden und in der Schublade verschwunden.» Als von Moos’ Grossvater – mit dem er zusammen in einem Drei-Generationen-Haushalt in Sachseln, im Kanton Obwalden, aufgewachsen ist – starb, begann er sich nochmals neu und tiefer damit auseinanderzusetzen. «Ich habe gemerkt, dass es hier um wichtige Fragen geht.»
Basierend auf den Skizzen und Studien komponierte von Moos das Requiem in der jetzigen Form, geschrieben für gemischten Chor, sechs Gesangssolist*innen, Orgel und Akkordeon. Es wurde im November 2023 in Luzern uraufgeführt. Das Besondere daran: Es ist das erste Requiem auf Schweizerdeutsch. Und es kombiniert klassische Musik mit Volksmusik.
Der Knochenmann tritt auf
Der Aufbau des Stücks orientiert sich an der Standardform des Requiems – diese folgt traditionell der Liturgie der katholischen Kirche. Es gibt eine feste Abfolge von Sätzen mit normalerweise gleichbleibenden Texten aus der lateinischen Totenmesse: Introitus, Kyrie, Graduale, Sequenz, Offertorium, Sanctus und Benedictus, Pie Jesu und Agnus Dei und Communio. Im Zentrum steht die Bitte der Hinterbliebenen an Gott, den Verstorbenen ewige Ruhe zu schenken – «requiem aeternam», woher der Gattungstitel kommt. Auch bei von Moos kommen die formalen Teile des Requiems in üblicher Abfolge vor – die Texte hat er selbst von Latein auf Schweizerdeutsch übersetzt. Mal näher am Original, mal etwas entfernter.
Am meisten kompositorische Freiheit lässt im Requiem die Sequenz – jener Teil zum jüngsten Gericht, in dem Mozarts berühmtes «Lacrimosa» steht. Und auch die «Totämäss» hat hier die stärkste eigene Note: Von Moos hat diesen Teil nämlich nicht übersetzt, sondern komplett neu geschrieben und daraus zugleich eine Szene gemacht: Der Tod tritt bei ihm als personifizierte Schreckensgestalt auf, als «Knochenmann» in schwarzer Kutte mit Sense und Totenbuch. Nachdem dieser ohne Erfolg den Bass-Solisten an sich zu reissen versucht, erklingt das Terzett «Myn guetä Fründ in Schwarz», das sich über den Knochenmann lustig macht. Doch er kommt mit voller Wucht zurück und holt die Sopranistin zu sich. Ziemlich dramatisch endet so der erste Teil der «Totämäss». Gefolgt wird er von einem versöhnlicheren zweiten, der das Abschiednehmen und das Leben nach dem Tod thematisiert.
Aus Klassik wird Jodel
So viel zum Text. Und die Musik? Von Moos hat ein Gespür dafür, Emotionen auf den Punkt zu bringen. Er arbeitet mit bewährten, unmittelbaren Effekten – zum Beispiel, wenn er dem Auftritt des Tods eine harte Halbton-Dissonanz der Orgel unterlegt, die die Kirche zum Vibrieren bringt. Oder den Tod selbst zu einem furiosen Akkordeonsolo ansetzen lässt. Mindestens so eindrücklich sind in der «Totämäss» aber die volksmusikalischen Elemente: Es kommen älplerische Betrufe, Talerbecken oder selbsterfundene «Kettenbretter» vor – die grösste Wirkung entfalten jedoch die Jodelsoli. Stellvertretend dafür steht das Offertorium «Abschied»: Hier verweben sich die solistischen Passagen ganz subtil mit dem Chor, der konventionell begleitet. Jodel verschmilzt mit Klassik, Ruhe und Bewegung ergänzen sich musikalisch stimmig, und sie berühren tief – sodass bei Aufführungen auch mal den Solist*innen Tränen kommen.
Von Moos’ Klangsprache ist über weite Strecken tonal und melodiös. «Ich bin nicht der Typ für die komplizierte zeitgenössische Musik», sagt er.
Dass seine Musik zwei – oder noch mehr – musikalische Welten kombiniert, kommt nicht von ungefähr. Von Moos hat in jungen Jahren lange in einem klassischen Chor gesungen und Klavier gespielt, ging danach an die Jazzschule. «Dann hat mich der Jodlerklub aus Sachseln angefragt, ob ich nicht dirigieren wolle.» So kam er in die Volksmusik-Szene. Das Komponieren hat er sich – so sagt er ganz selbstverständlich – selbst beigebracht. Seine «Totämäss» ist der Beweis dafür, dass gelungene Musik nicht aus der Akademie kommen muss. Von Moos findet eine ganz persönliche Sprache im Umgang mit der Thematik. Inspiriert dazu wurde er durch die gemeinsame Zeit mit seinen Grosseltern. Ihnen ist das Requiem gewidmet.
Dieser Text entstand in Zusammenarbeit mit JVM Productions.