Nachtschattengewächse aus Karton
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Nachtschattengewächse aus Karton

Kunst Ausstellungen & Kulturerbe
Veröffentlicht am 04.06.2024
Tabea Andres
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Das kleinste Hotel von Bern feiert sein Zehnjähriges: In der Casita in der Länggasse beherbergen Hélène und Daniel Lüthi nicht nur Gäste, sondern auch Künstler*innen. Ab Oktober ist nun Schluss mit Hotel und Galerie, die Casita wird fortan als Tiny House vermietet. Vorher kann man aber noch im verwunschenen «Jardin de Nyx» des französischen Künstlers Nicolas Bernière übernachten.

Hunderte Augenpaare, die einen direkt anschauen: Das grossformatige Ölgemälde im lichtdurchfluteten Atelier von Nicolas Bernière zieht in Bann. Es zeigt ein gigantisches Get-together von Porzellanpuppen, Teddys und anderen Figürchen, allesamt in Sepia und Brautönen gehalten. «Das Gemälde werde ich im Schlafzimmer hängen», erklärt Bernière, der ursprünglich aus Paris stammt und heute in Bern lebt. Mit «Schlafzimmer» meint der Künstler aber nicht sein eigenes, sondern jenes der Casita in der Länggasse, dem kleinsten Hotel von Bern.

Kunst zieht ein

Auf zwei Stockwerken finden dort Reisende seit zehn Jahren alles, was sie brauchen. Und mehrmals pro Jahr lädt das Betreiber- und Galeristenpaar Hélène und Daniel Lüthi Künstler*innen dazu ein, die Räumlichkeiten zu bespielen.

So brachte etwa das Bieler Duo M.S. Bastian und Isabelle L. 2019 seine berühmte Fantasie-Comicfigur «Pulp» mit – und verwandelte die Casita während des Berner Galeriewochenendes in eine fröhliche, tropische Wimmelwelt. Die Berner Multimediakünstlerin Anouk Sebald wiederum eröffnete 2020 ihr schrilles «Hotel Eutopia» – eine Schau irgendwo zwischen Alice im Wunderland und Science-Fiction.

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Nicht nur für Hotelgäste, sondern auch für Künstler*innen und Kunstliebhaber*innen: Die Casita in der Länggasse. © ZVG

Truhen, Vogelhäuser, Bücherstapel

Nach der Ausstellung und Jubiläumsaktion mit Nicolas Bernière sei Schluss mit Hotel und Galerie, teilt Daniel Lüthi mit: «Dieser Höhepunkt wird gleichzeitig auch der Schlusspunkt sein.» Ab Oktober werde die Casita fix als Tiny House vermietet. Natürlich sei dieser Entscheid auch mit Wehmut verbunden, erklärt Lüthi: «Die vielen schönen Kontakte und Freundschaften mit Künstler*innen, aber auch die intensiven Begegnungen mit dem Publikum und von diesem mit der Kunst haben uns sehr bereichert.» Umso mehr freue man sich jetzt darauf, dass es dank der Installation von Nicolas Bernière zum ersten Mal möglich werde, die Kunst und das Übernachten zu verbinden. Bernière verwandelt die Casita zum Jubiläum in einen verwunschenen Garten, in dem auch geschlafen werden kann.

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Betreiberpaar Hélène und Daniel Lüthi vor ihrer Casita. © ZVG

Auch für Nicolas Bernière ist die Vorstellung, dass Leute inmitten seiner Kunst übernachten werden, aufregend. In einem Skizzenbuch hat er sich die Räume des kleinen Hotels aufgezeichnet und seinen geplanten «Jardin de Nyx» – benannt nach der griechischen Göttin der Nacht – akribisch vorbereitet. Wer das Vergnügen hat, durch das Atelier des Künstlers zu schlendern, begegnet Teilen davon. Bernière ist längst nicht nur für seine Malerei bekannt, seit 15 Jahren stellt er Objekte und Installationen aus Karton her: Gräser, Palmblätter, Lianen oder Äste ranken sich bei ihm um Truhen, Vogelhäuser, Bücherstapel oder Rohre, die aus Pappe geschaffen sind. Das alles ergänzt Bernière mit feinen Zeichnungen und zurückhaltender Malerei.

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Der Künstler Nicolas Bernière verwandelt das Schlafzimmer der Casita in einen verwunschenen Garten. © Daniel Lüthi
«Mich langweilten die vorgefertigten, meistens aus Plastik bestehenden Objekte.»
— Nicolas Bernière, Künstler

Begonnen habe alles mit der Geburt seines Sohns. Dessen Kinderspielzeuge fand er fad: «Mich langweilten die vorgefertigten, meistens aus Plastik bestehenden Objekte», so Bernière. Also begann er, die Spielschiffe und -burgen selbst zu bauen. Karton schien ihm hierfür als Material geeignet.

Er fertigte immer öfters auch andere Alltagsgegenstände an. Nach und nach fand der Karton auch Eingang in seine künstlerische Praxis. Heute erinnert sein Atelier denn auch an eine Mischung aus Wes-Anderson-Kulisse, wunderliche Werkstatt und Zeitkapsel. Darauf angesprochen, ob er von alten Filmen, oder generell vom 19. Jahrhundert inspiriert sei, sagt der Künstler: «Es ist nicht die Nostalgie, die mich zu Sepiatönen bewogen hat. Eher ist es für mich entschleunigend, nach 20 Jahren vielfarbiger Malerei in die Reduktion zu gehen.»

In Bernières Atelier ist zwar vieles – aber längst nicht alles – aus braunem Karton. Es gibt auch andere Objekte, etwa einen schwarzen «Meteorit» aus Schaumstoff. Dass sich darin das gemalte Bild eines magisch glitzernden Sees verbirgt, entdeckt man allerdings erst, wenn man den geheimnisvollen Stein umdreht.

In den Räumen der Casita dürften seine Objekte und Bilder zu einer betörenden Fantasiewelt anwachsen: «Ich bin gespannt, wovon die Besucher*innen im ‹Jardin de Nyx› träumen werden», so der Künstler.

Dernière

Mit der Ausstellung «Jardin de Nyx» von Nicolas Bernière und der Jubiläums-Aktion «Schlafen in der Kunst» endet in der Casita nach zehn Jahren eine lebendige Verbindung von Hotel und Galerie – aber eben noch nicht ganz. Denn vom 24. bis 30. August stellt Galerist und Fotograf Daniel Lüthi seine eigenen Fotografien aus. «Ausser Konkurrenz, als Zugabe», wie er bemerkt. Die allerletzte Casita-Ausstellung trägt den Titel «Zwischenhalt», anschliessend wird die Casita zum Mietobjekt.

// Casita, Bern

Vernissage: Fr., 14.6., 16 Uhr. Ausstellung bis Do., 20.6.

Schlafen in der Kunst: Mo., 24.6., bis So., 18.8.

www.casita-bern.ch

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