Neugier stand am Anfang der Reise
Das Ensemble Proton bringt in der Dampfzentrale persische Klänge auf die Bühne. Mittendrin: die iranische Oud-Spielerin Yasamin Shahhosseini.
«Erinnern & Vergessen» lautet der Titel des kommenden Konzertprogramms vom Ensemble Proton, dem wohl furchtlosesten Klangforschungsteam der zeitgenössischen Musik. Dieses Mal widmen sich die Protoner*innen der Musik aus dem Nahen Osten, genauer dem Iran, noch genauer Teheran.
Dort sind mit Karen Keyhani und Yasamin Shahhosseini nämlich die beiden Hauptprotagonist*innen von «Dârvag» – dem Headline-Stück im Proton-Konzert – geboren und nach wie vor wohnhaft. Keyhani ist der Komponist des Werks, zu dem er sich vom gleichnamigen Gedicht des iranischen Dichters Nima Youschidsch inspirieren liess. «Dârvag» bezeichnet im nordiranischen Dialekt eine Froschart, die mit ihrem Gesang den Regen ankündigt. Keyhani orientierte sich bei der Komposition an traditioneller und klassischer persischer Musik – einer populären, zwischenzeitlich in Vergessenheit geratenen Gesangsform aus der Safawidenzeit (Anfang 16. bis Anfang 18. Jh.) und einer Tanzform namens «Reng».
Geschrieben ist das Stück für Ensemble und Oud, dem vielleicht bekanntesten Instrument aus dem arabischen Raum. Mit grosser Wahrscheinlichkeit bereits im persischen Reich verbreitet, kam es im Frühmittelalter durch die Mauren und zurückreisende Kreuzfahrer nach Europa, wo es die Entwicklung der Laute inspirierte. Im Gegensatz zu dieser hat die Oud jedoch keine Bünde, kann also stufenlos Töne erzeugen.

Improvisation trifft auf Akribie
Shahhosseini, die im Proton-Konzert den Solopart übernehmen wird, gehört zurzeit zu den grössten Oud-Virtuos*innen. Sie hat in Teheran klassische und traditionelle persische Musik studiert, ist aber seit etwa zehn Jahren immer wieder auch im Kontext westlicher zeitgenössischer Musik unterwegs. «Anfangs war ich einfach neugierig, eine andere Musikkultur kennenzulernen», sagt Shahhosseini, «daraus wurde eine einzige grosse Entdeckungsreise». Auf dieser kam sie mit Keyhani und durch ihn auch in Kontakt mit dem Ensemble Proton.
Die Kombination der beiden Musikwelten führt in «Dârvag» zu einer neuartigen Klangsprache, die das modale Spiel («maqām») und die improvisatorische Freiheit der persischen Tradition mit tonaler, respektive atonaler Akribie westlicher zeitgenössischer Musik verschmilzt. Das fasziniert auch Shahhosseini: «Es ist schön, wie das Ensemble und ich einander zuspielen – und wir so während des Stücks zusammen eine Geschichte entwickeln können.» Es gehe für sie nicht einfach darum, zwei Musikkulturen aufeinandertreffen zu lassen, sondern «durch das Musizieren und im Klang eine gemeinsame und authentische narrative Basis zu finden».
Neben Shahhosseinis Oud-Künsten in «Dârvag» erklingen beim Proton-Konzert auch zwei neue Stücke von Lawrence Dunn und Daniel Reza Sabzghabaei. Letzterer, Sohn eines iranischen Einwanderers in die USA, schliesst mit «in the skin» den Kreis zum Programmtitel «Erinnern & Vergessen», indem er sich mit den transportierten Erinnerungen von Migrant*innen auseinandersetzt.