«Regisseurin trifft es vielleicht noch am besten»
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«Regisseurin trifft es vielleicht noch am besten»

Bühne Film Theater Klassik Musik
Veröffentlicht am 28.08.2025
Lukas Nussbaumer
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Das Swiss Chamber Music Festival überrascht mit ungewöhnlichen Konzertsettings. Dieses Jahr zum Beispiel mit Kammermusik im Kino und der Genfer Künstlerin Ludmilla Mercier.

Mambo im Extrazug, Vollmondkonzert im Panoramaschwimmbad, Volksmusik in der Kirche: Beim Swiss Chamber Music Festival im Berner Oberland erklingt die Musik öfter mal da, wo man sie nicht erwarten würde.

Auch in diesem Jahr hat sich das Festival etwas Ungewöhnliches überlegt, Kammermusik im Kino nämlich. Das Momo String Quartet – vier klassische Musikerinnen aus Frankreich, Spanien und Russland, die sich an der Hochschule in Genf kennengelernt haben – spielt im Ciné Rex Adelboden Schostakowitschs Streichquartett Nr. 5 in B-Dur, op. 92. Das an sich wäre noch keine Sensation. Doch dabei bleibt es nicht, denn unter dem Titel «Inuk» hat die Künstlerin Ludmilla Mercier eigene Elemente in die drei spannungsgeladenen Sätze des russischen Komponisten integriert. «Ich erzähle die Lebensgeschichte der auftretenden Musikerinnen», erklärt sie.

Konfessionen in die Kamera

Mercier platziert zu diesem Zweck während des Konzerts eine Kamera auf der Bühne, deren Bilder in Echtzeit auf die Kino-Leinwand projiziert werden. Zwischen den Originalpassagen des Schostakowitsch-Quartetts erzählen (und singen) die vier Musikerinnen von ihrer Herkunft und von ihren unterschiedlichen Prägungen. «Ein bisschen wie bei einer Beichte», wie Mercier schmunzelnd kommentiert. Es gehe ihr um die Frage, ob man als Zuhörer*in die Musik anders wahrnehme, wenn man die Geschichten der Menschen auf der Bühne kenne. Die Anekdoten der Quartettmitglieder spiegeln sich dann in der Performance wider – etwa in Form von auskomponierten musikalischen Figuren und Akzenten, aber auch durch Einspielungen und Lichteffekte.

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Ludmilla Mercier kombiniert in «Inuk» klassische Live-Musik mit Multimedia. © Ella Josephine Campbell

Die verschiedenen Elemente ineinander zu verweben und dabei gleichzeitig das Werk von Schostakowitsch nicht zu sehr zu zerstückeln, sei kein leichter Balanceakt gewesen, sagt Mercier: «Wir haben während des Entstehungsprozesses viel diskutiert. Ich denke, wir haben am Schluss den richtigen Mix gefunden.»

Komponieren 2.0

Diese Mischung verschiedener Elemente, Medien und letztlich Disziplinen ist typisch für die Arbeit von Ludmilla Mercier. In Genf aufgewachsen, kam sie fürs Musikstudium nach Bern und entschied sich zunächst für klassische Flöte. Bald wurde ihr klar, dass sie aus den gewohnten Strukturen ausbrechen will, worauf sie einen Master in der Kompositionsvertiefung Creative Practice an der HKB anschloss. Das setzte grosses Potenzial frei – Mercier begann, mit theatralen Elementen zu experimentieren, mit Bildern, mit Licht, mit Film. So arbeitet sie heute an der Schnittstelle von Musiktheater, visuellen Künsten, Bewegung und Multimedia.

«Es gibt noch nicht wirklich einen etablierten Namen dafür», meint Mercier. «Vielleicht trifft es Regisseurin im Moment noch am besten.» Für sie gehören die verschiedenen Disziplinen zusammen – deshalb spannt sie in ihren Stücken auch mit Menschen aus unterschiedlichsten Richtungen zusammen: Musiker*innen aus der Klassik oder Jazz, Videokünstler*innen, Schauspieler*innen, Tänzer*innen, Kabarettist*innen, sogar Mathematiker*innen oder Philosoph*innen. «Das ist nicht immer ganz einfach, denn ich muss immer wieder das Vokabular anpassen, dass wir nicht aneinander vorbeireden.»

Mercier, 1997 geboren, steht für eine neue Generation des Komponierens, die die mediale Überstimulation im Alltag selbstverständlich in ihrer Kunst wiedergibt. «Wir wechseln gefühlt alle zwei Sekunden den Bildschirm», sagt sie. «Etwas Ähnliches passiert auch in meinen Stücken.» Schostakowitsch-Purist*innen seien vorgewarnt: Die Aufführung im Ciné Rex wird viele Formen annehmen, aber mit Sicherheit nicht die des gewöhnlichen Streichquartett-Abends.

// Verschiedene Orte, Adelboden und Frutigen

Fr., 5.9., bis So., 14.9.

  • Momo String Quartet: Ciné Rex Adelboden. Do., 11.9., 20 Uhr

www.swisschambermusicfestival.ch

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Lukas Nussbaumer

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