Schneewittchens Auslese: «Daily Soap», Nora Osagiobare
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Schneewittchens Auslese: «Daily Soap», Nora Osagiobare

Literatur
Veröffentlicht am 09.05.2025
X Schneeberger
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Autor*in und Künstler*in X Schneeberger aka X Noëme schreibt preisgekrönte Romane wie «Neon Pink & Blue» und «suisseminiature». Für die BKa besucht X Berns gute Buchhandlungen – und teilt mit uns, was X ausgelesen hat.

Ich bin Fan. Ich habe «Daily Soap» in einer Nacht gebinged-gelesen.

 Autorin Nora Osagiobare traf ich erstmals anlässlich einer Einladung ans Literaturinstitut in Biel und dann zu unserer Einladung an sie zur Clubliteratur in Bern. Es war eine crazy Lesung im Wechsel mit Erika Do Nascimento. Beide lasen aus Texten, an denen sie gerade arbeiteten. Texte, in denen es kein Herumkommen um Gewalt, Sexismus und Rassismus gab. Ebenso wenig um die gestalterische Macht literarischer Stimmen. 

Nun ist Osagiobares Debüt da. Daily Soap? «Haha, tägliche Seife!?», riefen eine weisse und eine Schwarze Person unabhängig voneinander aus, als sie das Buch in die Hand nahmen. Was gehört zu Seife? Wasser – und Haut. (Sonst hiesse es Putz-, Spül- oder Waschmittel.)

«Denn die Realität ist wie eine schlechte Seifenoper: Niemand möchte sie sehen.» Thomas Meili, Aphorismen für Arschlöcher, aus «Daily Soap», S. 16
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X Schneeberger liest aus. © Yoshiko Kusano (Illustration: BKa)

Und was gehört zur Seifen-Oper? Drama, Baby. Im Buch hat ein dramaturgisch unwahrscheinlich verstricktes Personal seinen Auftritt, das ich zu (er-)kennen glaube. Ich kenn doch dieses Miststück, dieses Opfer, diesen Erfolgs-, diesen Loser- oder diesen Künstler*innentyp. Ich kenne sie und erkenne sie wieder, weil ich im Mitvollzug der unglaublichen Geschichte das Opfer wie auch die Fiese bin. Weil ich der Betrogene wie auch die Betrügende bin. Und weil wir uns erkennen zwischen der Typologisierung, beginnen wir uns zu identifizieren. Ganz so wie die Protagonistin mit ihrer Soap «Sturm der Liebe» - bis zum bitteren Ende lost im Dazwischen. Das ist hier Schmerz, unendlicher Schmerz - über den in «Daily Soap» gelacht werden darf, naja, gelacht werden muss! Bis es wie ein pyrotechnisches Schlussbouquet mit Nachhall einfährt. Schlussemment geht diese Soap aber bös unter die Haut.

In der Seifen-Oper wird, so die Definition, eine Verschiebung inszeniert: Das Banale wird ein einer offensichtlichen Inszenierung geadelt. In «Daily Soap» passiert dieser shift vom Menschlichen, also Unmenschlichen, hin zu crazy fresher Poesie. Die Sprache spielt auf allen Registern einer stampfenden Kino-Orgel, inklusive tanzender Fussnoten. 

Zum Schluss, und das ist ebenso schmerzlich, macht das Gelächter etwas lesbar: In unserem systematischen wie systemischen Rassismus bin auch ich Rassist*in. Hände waschen sich mit Seife – und nicht in Unschuld.

 

PS: Es soll Leser*innen geben, die das «BARACK – Bundesamt für die Rationalisierung Andersfarbiger anhand von Capuccino beziehungsweise Kaffee» in «Daily Soap» für Realität halten. (Der Uno-Menschenrechtsbericht von 2022 sieht dringenden Handlungsbedarf, was Rassismus in der Schweiz angeht.)

«Daily Soap» von Nora Osagiobare erschien 2025 bei Kein&Aber in Zürich. Gefunden hat X das Buch bei Queerbooks.

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