Seeland und Wahnsinn
«I wett, i chönnt Französisch» heisst die Mundart-Novelle des Berners Sebastian Steffen und reisst uns mit in die ungefilterte Gedankenwelt des namenlosen Erzählers. Zu verorten ist die Geschichte im Seeland, wo der Protagonist 30 Jahre zuvor seine Jugendliebe Astrid tot im Maisfeld auffand. Autor Steffen besucht mit seinem grübelnden Erzähler das Café Kairo.
«Sit drissg Jahr ligt d Astrid jetz tot i däm Maisfäud.» Per Zufall wurde der Erzähler Zeuge dieses Anblicks, eigentlich suchte er nur nach seinem Fussball. Seither war er besessen davon, den Fall zu lösen, was ihm schliesslich gelingt. Es war nämlich «dr Bahnhofpeschä», der damals Astrid misshandelte und umbrachte, nun «dräit er Rundine ums Autersheim». Und weiss wahrscheinlich nicht einmal mehr, wer Astrid war.
Wahrer Kern
Die Geschichte hat einen wahren Kern und bezieht sich auf den Kindsmord in Erlach von 1989. Der Fall schockierte weiträumig und Steffen erklärte in der Mundart-Sendung vom «SRF», dass dieses Mädchen ihm immer im Kopf herumgegeistert sei, wenn er das Maisfeld, wo das Opfer einst gefunden wurde, passierte. «I wett, i chönnt Französisch» stelle für ihn eine Bewältigung dieses Verbrechens dar.
Sebastian Steffen, 1984 geboren und wohnhaft in Biel, bezeichnet sich selbst als Möchtegernspengler, Ziegenhirt, Landschaftsgärtner, Betreuer und Unterstützungslehrperson. Er studierte am Schweizerischen Literaturinstitut, mit einer Aufnahme hatte er eigentlich nie gerechnet. Die Schulbank habe er ansonsten nicht gerne gedrückt, was mit seiner Schreib- und Leseschwäche zu tun hat.
Zum Schreiben zu finden war entsprechend schwierig für Sebastian Steffen. Dass sein Schreibstil einen hohen Wiedererkennungswert hat, wird beim Lesen von «I wett, i chönnt Französisch» schnell klar. Die Sätze sind kurz, bildhaft, melodiös – eine rhythmisierende Komposition, die sich musikalisch umsetzen liesse.
«Läbiges» Berndeutsch
Steffen schreibt nicht ausschliesslich in Mundart. Sein erstes Buch «Aschtronaut unger em Miuchglasdach» beziehungsweise «Astronaut unter dem Milchglasdach» verfasste er gleich zweimal, eine Version in Schriftdeutsch. Auch «I wett, i chönnt Französisch» existierte in Schriftdeutsch-Fassung. Diese konnte sich aber letztlich nicht durchsetzen, laut Steffen sei Berndeutsch viel «läbiger» und er könne sich in seiner Muttersprache am besten ausdrücken. Sein Seeländer Dialekt verpasst dabei auch Anglizismen und Gallizismen eine eigene Schreibung, «vou kreisi» etwa und ganz «sämpa».
«Di häts söue breiche»
«I wett, i chönnt Französisch» fühlt sich wie ein wirrer Fiebertraum an. Hie und da verpasst man den Anschluss. Die innere Gedankenwelt des Protagonisten ist pure Wut und Trauer: «Oder we mir dr Platz chönnte tuusche, wär de nid aues vil logischer?» Der endlose innere Monolog macht den Erzähler wahnsinnig, er imaginiert ständig Begegnungen mit Astrid und spricht mit ihr: «D Astrid seit, s sig aus e Bschiss. D Astrid seit: ‹I wär mau gross use cho.› D Astrid seit: ‹Di häts söue breiche.› D Astrid meint mi.»
Steffens Protagonist schwimmt im Sumpf der Schuldgefühle, es hätte doch ihn treffen sollen, er, der schon seit den ersten Atemzügen zu kämpfen hat: «I bi mit Entzugserschinige uf d Wäut cho! Heroin! D Eutere Junkies!» Sebastian Steffen macht ein Schicksal zum Stoff, das ihm nahe und vertraut ist. Er versprachlicht dies in «I wett, i chönnt Französisch» sehr stimmig. Und legt die Angst frei, die eigenen Gedanken fertig zu denken.
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