Sie testet die Grenzen
Die Zürcher Sing-Akademie und das Orchestra La Scintilla lassen im Casino Bern Beethovens «Missa Solemnis» ertönen. Olivia Vermeulen singt Alt solo – mit ihrer Stimme bewegt sie sich quer durch die Musikgeschichte.
«Wie ein Essen, in dem so viele Zutaten drin sind, dass man sie gar nicht alle wahrnehmen kann» – so beschreibt Olivia Vermeulen ihre erste Hörerfahrung von Beethovens «Missa Solemnis». Aus Überforderung wurde Bewunderung, die Mezzosopranistin und Altistin lernte das Stück kennen und lieben. «Ich habe etwas Zeit gebraucht», sagt Vermeulen. Nach Aufführungen mit Jordi Savalls Concert des Nations singt sie die Messe nun mit der Zürcher Sing-Akademie und dem Orchestra La Scintilla unter der Leitung von Florian Helgath in Bern.
Hartnäckigkeit zahlt sich aus
Vermeulen stammt aus einem kleinen Dorf in den Niederlanden, in der Steiner-Schule in Nijmegen war sie ständig von Musik umgeben. Als Teenager sei sie eines Tages aufgewacht und habe gewusst, dass sie singen wollte. Die Frage ihrer Mutter, wo denn, beantwortete sie nur mit: «In meinem Leben». Vermeulen war kein Wunderkind, musste immer wieder neue Anläufe nehmen. «Ich war verbissen», sagt sie – exemplarisch die Episode, als sie Erwin Ortner, Gründer und Leiter des Arnold Schoenberg Chors «so lange nervte, bis er mich schliesslich mitsingen liess».
Ihre Hartnäckigkeit zahlte sich aus, heute ist Vermeulen eine gefragte Stimme ihres Fachs. Und sie pflegt ein aussergewöhnlich breites Repertoire, singt von Barock bis heute alles, stellt auch mal Monteverdi und Billie Eilish in direkte Abfolge – wie auf ihrem Album «Hello Darkness», auf dem sie zusammen mit Pianist Jan Philip Schulze Stücke zum Tod interpretiert. Im November erscheint die neue Zusammenarbeit «In Heaven». «Ich wollte immer schon Grenzen austesten», sagt Vermeulen. Das macht sie, die eigentlich aus dem Barock kommt, auch bei Beethoven: «Ich habe Freude daran gefunden, meine Stimme hin zur Romantik zu entwickeln.»