Sie webt neue Geschichten
Die multimediale Künstlerin Yee I-Lann nutzt textile Arbeiten, um koloniale Erfahrungen zu verarbeiten. Das Kunstmuseum Thun zeigt mit «Mansau Ansau» ihre erste Ausstellung in Europa.
Der Reiz am Schere-Stein-Papier-Spiel ist, dass nicht immer die harten oder verletzenden Dinge gewinnen. Die Schere zerschneidet zwar das Papier, doch das fragile Blatt kann den Stein umhüllen. Ähnlich verhält es sich bei den textilen Arbeiten der multidisziplinären Künstlerin Yee I-Lann. Hier sind es die weichen Teppiche, welche die harten und hölzernen Objekte bannen. Auf den bunten Webereien sind stilisierte Tische und Stühle abgebildet. Eher unwahrscheinliche Motive im traditionellen Handwerk.
Doch was hier von vielen Händen mit und in das Textil eingewoben ist – und damit auch irgendwie verarbeitet wird –, ist die gewaltvolle Geschichte Südostasiens. Portugiesische, niederländische und dann britische Kolonialmächte kontrollierten Malaysia, die Heimat der Künstlerin. Stühle und Tische stellten sich als disziplinierende Fremdkörper über die lokale Teppichkultur.
Ein 62 Meter langes Band
Die Teppichserie TIKAR/MEJA (2018–2023) gehört zu den Arbeiten von Yee I-Lann, die im Kunstmuseum Thun neben digitalen Collagen, Videos und Skulpturen zu sehen sind. Es ist die erste europäische Schau der viel beachteten Künstlerin. «Mansau Ansau» – so der Titel — heisst in der indigenen Sprache der Kadazan und Dusun so viel wie «immer weitergehen». Bei Yee I-Lann ist das im Sinne eines Abschreitens und Überschreitens historischer und geopolitischer Terrains zu verstehen. Sie stellte die Teppich-Artefakte gemeinsam mit Frauen aus ihrer Heimatregion Sabah nach traditionellen Knüpfverfahren her.
Yee I-Lann arbeitet oft kollaborativ. So knüpfte sie mithilfe lokaler Frauen auch ein 62 Meter langes Band, das sie zwischen malaiischen Fischergemeinschaften aufrollte, die auf Stelzen im Wasser leben. Von oben mit Drohne gefilmt, bildet das geknüpfte Band eine Brücke übers Wasser. Die ortsbezogene Performance ist nun als Videoarbeit in Thun zu entdecken.
// Kunstmuseum Thun
Vernissage: Fr., 22.8., 18.30 Uhr. Ausstellung bis 30.11.