Unerschrocken talentiert
Claire Huangcis Rezital «Rhapsody in Blue» sucht den Kontrast, aber vor allem auch das Ineinanderspielen von europäischer Klassik und transatlantischer Moderne. Neben George Gershwin spielt die gefeierte Pianistin Samuel Barbers wenig aufgeführte und einzige Klaviersonate in es-Moll. Im Stück aus dem Jahr 1949 geben sich Zitate aus der Romantik und freitonale und rhythmische Avantgarde die Hand. Romantisch heiter wirds mit Schuberts Klaviersonate Nr.18 in G-Dur. Und das alles im beschaulichen Dorf Rüeggisberg beim Bärenstutz.
Es war Claire Huangcis Idee und Wunsch, endlich einmal in Rüeggisberg aufzutreten. Die gefeierte Pianistin mit chinesisch-US-amerikanischen Wurzeln und Wohnsitz in Frankfurt am Main wuchs vom Wunderkind mit den «schnellsten Fingern der Welt» (so einer ihrer Lehrer) zum Weltstar heran, der auf allen grossen Bühnen mit Orchester und solo spielte – und besucht nun für ein Rezital das Dorf in den Hügeln zwischen Freiburg und Thun. Hellwach und feinsinnig ist ihr Spiel, das unter anderem 2018 mit dem Mozartpreis beim Concours Géza Anda in Zürich ausgezeichnet wurde.
Zu verdanken ist dieser Auftritt der mit Huangci befreundeten Musikerin Erika Schutter und ihrer Konzertreihe «Bärenstutz». Eine intime und sehr exquisite Adresse für Dachkammermusik von grossartigem Format. Huangcis Besuch ist eine Premiere im doppelten Sinn: Es ist auch das allererste Klavierrezital im Dachstock.
Dabei kommt es zu einer Begegnung von Alter und Neuer Welt, Romantik und Avantgarde. Claire Huangcis Programm «Rhapsody in Blue» sucht den Kontrast, aber vor allem auch das Ineinanderspielen von europäischer Klassik und transatlantischer Moderne. Samuel Barbers Sonate in es-Moll, 1949 von Vladimir Horowitz uraufgeführt, ist das einzige Klavierwerk des Amerikaners und wird eher selten gespielt.
Fugen, Umkehrungen, Zitate
Nicht zuletzt, weil es zu spielen äusserst anspruchsvoll ist. Genau richtig also für Huangci, die als neugierig gilt und sich auf komplexe Klangharmonien versteht. Das 20-minütige Stück aus vier Sätzen treibt sein Thema in es-Moll kontrapunktisch voran, vervielfältigt es in Fugen und Umkehrungen, gelangt von Zitaten aus der Romantik zu Passagen, die freitonal in die Avantgarde ausschwärmen, sodass eigentlich alles Zitate zu sein scheinen. Hier haben wir es mit einem Werk zu tun, das seine rhythmischen, tonalen und unterschiedlich getakteten Kippmomente feiert. Der vierte Satz, mit der virtuosen Fuge, lässt Jazzelemente hervortreten.
Blues, Sinfonik, Jazz
Schuberts Klaviersonate Nr.18 in G-Dur, auch «Fantasie» 894, führt danach in sichere romantische Gefilde. Robert Schumann nannte sie die rundeste, formal und konzeptionell vollkommenste aller Schubertschen Sonaten, eine leichte Heiterkeit durchzieht alle vier Sätze.
Den Abschluss von Huangcis Programm macht George Gershwins namensgebende «Rhapsody in Blue», bei der Bluesharmonien, Sinfonik und Jazzrhythmen sich bei einem lässig-verspielten und auch mal transatlantisch grandiosen Rendezvous die Hände reichen. 1924, bei der Uraufführung, sass Gershwin selbst am Klavier. Nun spielt die unerschrocken talentierte Claire Huangci die Soloversion für Piano. Eine schöne Idee und ein genialer Wunsch.