Wenn Haare tanzen
 Minuten Lesedauer

Wenn Haare tanzen

Bühne Tanz Begegnungen
Veröffentlicht am 08.10.2024
Helen Lagger
 Minuten Lesedauer

Das Festival Tanz in Bern sucht unter dem diesjährigen Motto «ensemble» nach Zusammenhalt. Getanzt wird in der Dampfzentrale oben ohne, in schrillen Kostümen und mit Einsatz der Mähne.

In Zeiten der Unruhe sei die Sehnsucht nach einem friedlichen Miteinander am grössten, so der Tenor der Organisator*innen. Gruppendynamik und Identitätsfragen werden von vielen der internationalen Tanzkompagnien verhandelt, die in der Dampfzentrale am diesjährigen Festival Tanz in Bern auftreten. Sichtbar wird das etwa bei der Compagnie Marie Chouinard aus Kanada. Zwölf Tänzer*innen stehen im Stück «M» auf der Bühne, allesamt mit nackten Oberkörpern, knallbunten Hosen, pinken oder roten Perücken. Die 1955 in Québec geborene Choreografin Marie Chouinard leitet seit 1990 ihre eigene Compagnie in Montreal. Bereits 1978 fiel sie mit dem avantgardistischen «Cristallisation», einer ungewöhnlichen Choreografie, bei der rohe Eier zu Boden fallen gelassen wurden, auf.

Image description
Fast wie eine Farbtherapie: Die Choreografie «M» von Marie Chouinard. © Ann Paré

Zu freizügig für YouTube

Will man das Stück «M» auf YouTube anschauen, wird man darauf hingewiesen, dass der Inhalt möglicherweise unangemessen sei. Sichtbare, weibliche Brustwarzen gelten hier immer noch als aufsehenerregend. Spricht man Marie Chouinard darauf an, winkt sie ab. «Die Venus vor mehr als 2000 Jahren war doch auch schon nackt.» Das Stück, in dem Frauen und Männer oben ohne tanzen, handle keineswegs von Sexualität, so Chouinard. Vielmehr gehe es ihr darum, die Tänzer*innen wie griechische Statuten erscheinen zu lassen. Das tun sie unter exzessivem Einsatz von Licht und Farbe – Chouinard spricht gar von einer Farbtherapie.

Mit dem Titel «M» referenziert das Ensemble auf Vibrationen beim Sprechen: Es gehe um einen ursprünglichen Ton, den Kleinkinder oft als erstes verwendeten, etwa um «Mama» zu sagen. So trifft in dieser Choreografie Onomatopoesie auf Bewegung: Die Tanzenden geben während der Performance Laute von sich.

Image description
Ob das wehtut? Im Tanzstück «Hairy» wird auch mal an der Mähne gezogen. © Robin Plus

Latex und Headbanging

«Hairy», ein Stück des litauischen Choreografen und Tänzers Dovydas Strimaitis, stellt wiederum die Frage, ob Haare tanzen können. In schwarzen Latexanzügen rocken die Tänzer*innen headbangend die Bühne. Dabei ist es gar nicht Metal, der hier erklingt, sondern eine bunte Mischung an Musikstilen – auch klassische Werke.

Zum Festival Tanz in Bern gehört traditionsgemäss auch das Mitmachen. So steht mit «Pose for me» ein Voguing-Kurs mit Father Helio Laveaux auf dem Programm. Der Tanzstil, der sich weniger durch flüssige Bewegungen und vielmehr durch lineare und gewinkelte Arm- und Beinposen auszeichnet, wurde unter anderem durch Madonnas Videoclip zu ihrem Song «Vogue» Mainstream. Ursprünglich kommt er aus der sogenannten Ballroom-Community, einer Gemeinschaft von Queeren, Trans und BIPOC Personen. Father Helio Laveaux zeigt in vier bis fünf Workshops, die sich sowohl an Anfänger*innen als auch an Fortgeschrittene richten, wie Voguing geht. Und wer die erlernten Posen auf der Tanzfläche ausprobieren will, tanzt am Wochenende unter dem Motto «Zäme dür d’Nacht», etwa zu Klängen von DJ Larataqué, einer Künstlerin, die Reggaeton mit Afrobeats und Funk kombiniert.

// Dampfzentrale Bern

Mi., 23.10 bis 10.11

www.dampfzentrale.ch

Artikel des/derselben Autor:in
Helen Lagger
Freie Autorin

BKa abonnieren

Dieser und unzählige weitere Artikel sind auch in gedruckter Form erhältlich. Die Berner Kulturagenda erscheint zweiwöchentlich und beleuchtet das Berner Kulturgeschehen.