Wenn es draussen so warm ist, dass die Menschen nur sich selbst brauchen
Im Kino Rex feiert Michael Karrers Langspielfilmdebüt «Füür brännt» Berner Premiere. Es erzählt von drei Gruppen verschiedenen Alters, die parallel zueinander den gleichen Sommertag erleben. Der Regisseur verrät im Gespräch mit der BKa, wie es ihm gelang, Mikrodynamiken einzufangen, die authentisch daherkommen.
«Hupe, Hupe!», schreien die vier Jungs. Sie stehen an einer viel befahrenen Strasse, die Sonne brennt auf den Asphalt. Als tatsächlich ein vorbeifahrendes Auto hupt, beginnen sie zu kreischen. Dass wir uns vermutlich in Zürich oder in der Umgebung davon befinden, verrät einzig der Dialekt. «Dä isch am Telifon», kommentiert einer der Jungen einen Autofahrer. In einer davorliegenden Szene hatten sich die gleichen Jungs an einem Rasensprenger abgekühlt, der sich durch den Wasserdruck auf der Wiese windete wie eine Schlange.
Drei Gruppen, ein endloser Sommertag
Die Erlebnisse der vier Kinder im Primarschulalter stellen eine von drei Handlungssträngen dar, die in «Füür brännt» nebeneinander verlaufen. Auf den beiden anderen Ebenen erleben wir mit, wie eine Gruppe Millennials in einem kleinen Garten «Mafia» spielt und wie eine Gruppe Jugendlicher am Fluss zusammenkommt. Die Stimmungen verändern sich im Verlaufe des endlos wirkenden Sommertags, den Regisseur Michael Karrer in seinem Langspielfilmdebüt in Slow-Cinema-Manier bis in die tiefe Nacht festhält.
Kleine und grosse Kippmomente
Eine gute Stunde dauert «Füür brännt», dabei hält die Kamera auch auf einzelne Personen, die sich kurz abseits befinden, um etwa mit der Partnerin zu telefonieren – «weiss nonig, wänn ich heichume» –, und längst ist nicht alles so unbeschwert wie die eingangs beschriebene Szene mit den kreischenden Jungs. Da gibt es kleine, aber auch grosse Kippmomente. Etwa dann, wenn ein Jugendlicher nach einer Auseinandersetzung am Fluss in der Dunkelheit verschwindet und die Gruppe unsicher ist, ob das jetzt «no easy» ist oder man nicht doch mal nach ihm suchen müsste.
Aus dem Leben gegriffen
Wüsste man es nicht besser, hätte man zwischenzeitlich das Gefühl, in einer Dokumentation zu stecken. Die Dialoge wirken nicht nur altersgerecht, unverkrampft und authentisch, bei vielen Gesprächen denkt man auch, dass man sie so oder so ähnlich schon selbst geführt hat. «Füür brännt» ist aus dem gleichnamigen Kurzfilm entstanden, den der in Münsingen aufgewachsene und in Zürich lebende Regisseur Michael Karrer als Abschlussfilm im Regie-Master an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) realisiert hat.
Im Gespräch mit Karrer wird klar, wie es kommt, dass seinem Langspielfilmdebüt nichts von dieser peinlichen Gekünsteltheit anhaftet, die sonst oft bei ambitionierten, auf Authentizität getrimmten Dialekt-Filmen mitschwingt.
Karrer erzählt, dass die Darstellenden am Tag des Drehs noch gar nicht wussten, was sie spielen würden. Er selbst hatte zwar ein Gefühl, was die Szene für ihn bedeutet, aber nur eine vage Vorstellung davon, wie sie wirklich ablaufen würde: «Ich hatte jeweils fünf bis sechs Sätze aufgeschrieben, mehr nicht», so Karrer. Da hätte etwa gestanden: «Der Moment, wenn es spät ist und du deinem besten Freund sagen willst, wie gern du ihn hast. Vielleicht nicht zuletzt, weil du schon ziemlich betrunken bist».
In der Wiederholung erarbeitet
An einem Drehtag wurden oft nicht mehr als eine oder zwei Szenen gedreht, die sich durch die Wiederholung weiterentwickelten. Eine einzelne Einstellung in «Füür brännt» dauert jeweils ziemlich lange, geschnitten hat Karrer die Sequenzen nicht. Und was, wenn in einer Szene einige Details super waren, aber etwas anderes schieflief? Das könne durchaus passieren, bestätigt er: «Aber ohne den Schnitt kann ich das Gefühl bei den Zuschauer*innen erzeugen, einen einzigen unmittelbaren Moment mitzuerleben.»

Einige der Jugendlichen, die im Film mitwirken, waren bereits in Karrers Kurzfilm «22:47 Line 34» zu sehen, der 2019 unter anderem die Auszeichnung als bester Schweizer Film an den Winterthurer Kurzfilmtagen ergatterte. Viele von ihnen sind Teil einer Tanz-Crew. Schauspielerfahrung hatten die Jugendlichen davor kaum, Lust zu performen umso mehr. Das empfand Karrer als ideal: «Ich hatte Angst, dass etwas verloren gehen könnte, wenn sie schon zu gut wissen, wie das alles läuft mit dem Spielen.»
Auch bei der Gruppe Jungs, die Karrer wortwörtlich «am Strassenrand» entdeckt hatte, weil sie ihn, der im Auto sass – genau wie es dann auch im Film geschieht – ermutigt hatten, zu hupen, hätten sich die Dialoge von alleine ergeben. Zu wissen, dass die Gespräche ungezwungen entstanden, macht das Ganze noch witziger. Etwa dann, wenn im Film ein Junge zu seinem Freund sagt, er wolle entweder Pilot oder IT-Fachmann werden, weil man dann von Zuhause aus viel Geld verdienen könne.
Feuer und Fluss
Die 30 Drehtage erstreckten sich über drei Sommer von 2020 bis 2022, an denen Karrer oftmals nur zu zweit mit Kameramann Ramón Königshausen vor Ort war. Der Regisseur, der in seiner Kindheit und Jugend selbst viel Zeit an der Aare und an Feuern verbrachte, wollte einen Film machen, der spielt, «wenn es so warm und schön ist, dass die Menschen nicht mehr brauchen als sich selbst».
Produziert hat Karrer «Füür brännt» – der in Kooperation mit der ZHdK entstanden ist – mit dem Sabotage Kollektiv, das er 2020 gemeinsam mit den Filmschaffenden Lisa Gerig, Lisa Gertsch, Felix Hergert, Moris Freiburghaus und Ramón Königshausen 2020 gegründet hat. Es konzentriert sich auf die Herstellung, Produktion und den Verleih von Filmen, die von der ästhetischen und politischen Haltung der Filmschaffenden geprägt sind. Damit wolle man auch Filmideen Raum geben, die mit der klassischen Förderstruktur nicht finanzierbar sind, so Karrer.
// Kino Rex, Bern
Premiere in Anwesenheit des Regisseurs: Mo., 25.3., 20.30 Uhr
Weitere Vorstellung: Mi., 27.3., 18.30 Uhr