Wie weit gehen, um zu überleben?
«Stella. Ein Leben» erzählt die Geschichte der Berliner Jüdin Stella Goldschlag, die ab 1943 untergetauchte Jüdinnen und Juden an die Gestapo verriet. Als gefürchtete «Greiferin» war sie Opfer und Täterin gleichzeitig. Im auf Gerichtsakten basierenden Film begleiten wir eine hochkomplexe Figur inmitten des Horrors des Nationalsozialismus. Ein Kinobesuch bei Quinnie lohnt sich.
Berlin, 1940: Eine Gruppe junger Menschen spielt euphorisch Swing, zwischen den Instrumentalist*innen tanzt und singt die schöne und selbstbewusste Stella. Sie träumt davon, ein Star zu sein, am liebsten am Broadway. Sie geht gern aus und verbringt ihre Zeit mit ihrem Freund Fred bei guter Musik. Auch er spielt in ihrer jüdischen Jazzband, nun proben sie für eine Privatparty bei Bekannten.
Der Filmanfang des Dramas «Stella. Ein Leben» verbreitet Feierlaune. Wer schon einmal von Stella Goldschlag gehört hat, der Jüdin, die während der NS-Zeit andere jüdische Untergetauchte an die Gestapo auslieferte und damit zur gefürchtetsten «Greiferin» Berlins wurde, weiss aber, dass die Stimmung in diesem Biopic bald kippen wird.
Die Figur der Stella spaltet bereits früh: Irgendwie scheint es sie erst nicht gross zu kümmern, was gerade in Deutschland geschieht. Während andere in ihrem Bekanntenkreis nur über Ausreisevisa sprechen können, fragt sie sich, was sie für ihren Auftritt anziehen soll. Und wenn während den Proben ein Kollege in ihrer Jazzband unkonzentriert spielt, weil sein Vater verhaftet wurde, dann soll sich dieser gefälligst zusammenreissen.
Die Protagonistin wirkt stolz, egozentrisch – und manchmal vielleicht sogar ein bisschen ignorant. Erst im Verlauf des Films wird spürbar, dass sich darunter eine tiefe Kränkung verbirgt: Sie wird als Bürgerin zweiter Klasse angesehen, hier, wo sie doch wie alle anderen aufwuchs und sich nicht einmal wirklich jüdisch identifiziert.
.jpg)
Die Stimmung kippt
Sprung ins Jahr 1943. Die Stimmung ist längst gekippt. Um ein Visum hat sich die Familie Goldschlag zu spät bemüht. Stella und ihre Eltern verrichten Zwangsarbeit in einer Rüstungsfabrik, am Mantel muss sie den gelben Stern tragen. Nachts reisst sie ihn ab und geht heimlich aus. Erwischt wird sie nie – von Zeitzeugen und in anderen Überlieferungen wird später gern erwähnt, dass sie sich dank ihres «arischen Aussehens» nie habe ausweisen müssen.
.jpg)
Als es eines Tages zu den von den Nazis als «Fabrikaktion» bezeichneten Verhaftung der Zwangsarbeiter*innen und Deportation nach Ausschwitz kommt, können sich Stella und ihre Eltern verstecken. Manfred, inzwischen Stellas Ehemann, schafft es nicht, sie werden sich nie mehr sehen. Die Familie taucht unter.
Mit jedem Tag stumpfer
Auf die zunehmende Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung reagiert Stella auf ihre eigene Art. Mit ihrem neuen Geliebten, dem verführerischen, aber ziemlich unsympathischen Rolf Isaakson fälscht sie erst Ausweise und verkauft diese an Juden, die wie sie in der Illegalität leben müssen. Und plötzlich wird auch Stella immer härter: Wer einst Freund war, ist nun Kunde, und Stella hilft nur, wenn die Bezahlung stimmt.
Doch auch sie selbst gerät ins Visier der Gestapo. Angst um ihre Eltern und Folter zwingen sie, dem NS-Regime zu helfen. Und so wird aus dem Opfer auch Täterin: Stella Goldschlag hat hunderte jüdische Mitmenschen an die Gestapo verraten, viele davon wurden in den Vernichtungslagern ermordet.
.jpg)
Ambivalenz bis ins Absurde
«Stella. Ein Leben» des deutschen Regisseurs Kilian Riedhof ist den Kinobesuch nicht nur Wert, weil er eine bisher im Film unbeachtete Geschichte erzählt. Sondern auch, weil er dies ohne grosse Idealisierung der Figuren tut. Vielleicht liegt dies daran, dass die Drehbuchautoren – neben Riedhof sind dies Marc Blöbaum und Jan Braren – die Geschichte auf der Grundlage von Akten schrieben, die die beiden Prozesse dokumentieren, die gegen Stella geführt wurden: 1946 von einem sowjetischen Militärtribunal und zehn Jahre später vom Berliner Landgericht.
Der Film ist vielschichtig: Er zeigt die Situation der Protagonistin als deutsche Jüdin, aber auch als Frau im Nazi-Deutschland. Und dann ist da eine Ambivalenz in der Erzählung, die sie fesselnd macht. So finden sich in diesem schier unerträglichen Horror plötzlich lustvolle Situationen, die vielleicht auch einfach aus Verzweiflung entstehen. Oder die ins völlig Absurde abdriften, wenn Stella, Rolf und Peter, der dritte im Ausweisfälscher-Gespann, im Bombengewitter jubelnd durch die Häuser ziehen und sich nehmen, was sie in die Finger kriegen.
Dass die komplexe Titelfigur so polarisiert, ist schliesslich auch dem Spiel von Paula Beer zu verdanken, die erst gerade in Christian Petzolds Drama «Roter Himmel» grossartig war. Als Stella gelingt es ihr, gleichzeitig Sympathie, Empathie, Mitleid, völliges Unverständnis und Missbilligung auszulösen. Damit hallt «Stella» noch eine Weile nach. Und das ist für das Biopic-Genre, das doch oft sehr pathetisch und langweilig daherkommt, ein gutes Zeichen.
Jetzt im Kino bei Quinnie: www.quinnie.ch
Wir verlosen 5x2 Tickets für die Vorstellung mit anschliessendem Gespräch mit dem Produzenten Ivo Maddeo vom Sa., 3.2.: tickets@bka.ch
Artikel des/derselben Autor:in
