«Wir sitzen uns im Nacken»
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«Wir sitzen uns im Nacken»

Bühne Theater Literatur
Veröffentlicht am 10.09.2024
Denise Tuna
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Bei Bühnen Bern wird die Uraufführung von Ralph Tharayils Romandebüt «Nimm die Alpen weg» inszeniert. Schauspieler und Regisseur Marin Blülle führt Regie bei diesem Stück über eine Migrationserfahrung.

Vergangenes Jahr gab Ralph Tharayil mit «Nimm die Alpen weg» sein Romandebüt, das mehrfach ausgezeichnet wurde. Als Sohn südindischer Eltern, geboren in der Schweiz, schildert Tharayil in lyrischer Prosa eine Kindheit in der Schweiz, die tief von Migrationserfahrung geprägt ist.

Der Autor findet dafür eine ganz klare, direkte Sprache. Dabei decken sich Form und Inhalt: Der Text ist sprunghaft, fragmentarisch und in kurzen Zeilen gehalten. Es bleiben Lücken zurück, die dem Text den nötigen Platz geben – und die innehalten lassen. Und die eine Stille aufzwingen, die gespürt werden soll.

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Er gab mit «Nimm die Alpen weg» sein Romandebüt: Ralph Tharayil. © Marvin Mears

«Wir können die Enge kaum berühren»

Und da ist noch diese Mehrstimmigkeit, die ein lyrisches Ich kaum durchschimmern lässt. Immer aus der Wir-Perspektive geschrieben, suggeriert der Text zwar ein Geschwisterpaar. Wer und wie viele wirklich sprechen, ist aber nicht klar. Der hier geschaffene Raum ist von Unausweichlichkeit gezeichnet: «Wir können die Enge kaum berühren. / Wir sitzen uns im Nacken», heisst es gleich zu Beginn.

Das einverleibte schlechte Gewissen, dem die Kinder ausgesetzt sind, geht unter die Haut. Die überbelasteten Eltern leiden nämlich unter ständigem «stressstressstress», arbeiten nachts und schlafen tagsüber. Der Graben, der sich immer mehr zwischen Kindern und Eltern aufmacht, ist unausweichlich – so sprechen die Eltern auch «ihre Sprache», und selten «unsere».

Von Lücken getrieben

Der im Aargau aufgewachsene Schauspieler und Regisseur Marin Blülle inszeniert nun eine Theateradaption von «Nimm die Alpen weg» für Bühnen Bern – und bringt sie somit zur Uraufführung. Er habe sich sofort angesprochen gefühlt von der bildhaften Klarheit des Textes und besonders von den vorgegebenen Leerstellen, da sie von einer Wahrheit sprechen würden – gerade, weil sie nicht ausformulieren.

«Diese lyrischen Zwischenräume werden in der Inszenierung in ritualisiert wirkende Bewegungsabläufe übersetzt, welche mit dem fortschreitenden Alter der Kinder neue Formen annehmen», erklärt Blülle, der sich intensiv mit dem Bruch von Sprache und Körper befasst hat. Neben dem Ensemble, bestehend aus den Schauspielerinnen Lou Haltinner, Isabelle Menke und Sascha Bitterli, zog der Regisseur also die Tänzerin Elina Kim hinzu. Sie verwendet im Stück keine verbalisierte Sprache. «In einem Theaterraum provoziert es, wenn jemand schweigt», begründet Marin Blülle, «und mit Tanz wird es möglich, etwas rein durch die körperliche Präsenz und Anwesenheit zu erzählen.»

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Er inszeniert die Urraufführung von «Nimm die Alpen weg»: Marin Blülle. © Marvin Mears

Eine intime Spielsituation

Diese Präsenz entfaltet sich besonders stark im Vidmar 2: In diesem Theatersaal sitzen die Zuschauenden rund um die Spielerinnen, wodurch erstere selbst zum einzigen Bühnenelement der Inszenierung werden. «Das Publikum ist Teil dieser Gesellschaft», verdeutlicht Blülle.

Dieser einzige Raum, in dem Publikum und Ensemble sich befinden, erzeugt eine dichte gemeinsame Erfahrung, verstärkt auch durch das chorische Sprechen der Schauspielerinnen. Die Wir-Perspektive bleibt dabei nicht klar zuordenbar, sodass sich das Publikum selbst in die Leerstelle einfügen kann – und in einen kollektiven Erinnerungsraum eintritt.

// Vidmar 2, Liebefeld

Premiere: Do., 12.9., 19.30 Uhr

Vorstellungen bis 22.1.25

www.buehnenbern.ch

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