«Wir wollen zu einem Namen gehören»
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«Wir wollen zu einem Namen gehören»

Bühne Theater
Veröffentlicht am 17.05.2024
Tabea Andres
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Ab Sommer 2024 führen die Brüder Patric Bachmann und Olivier Keller gemeinsam die Schauspielsparte am Theater Orchester Biel Solothurn: Keller als Regisseur, Bachmann als Dramaturg. Vor Kurzem haben sie nun das Programm 2024/25 bekanntgegeben. Sie setzen auf zeitgenössische Umsetzungen klassischer Stoffe und Formate, die auch mal abseits der Bühne stattfinden.

Olivier Keller, Patric Bachmann, seit fast zwei Jahren bereiten Sie sich auf Ihren Antritt als Co-Direktoren Schauspiel des Theater Orchester Biel Solothurn (TOBS) vor. Was empfanden Sie, als Sie die sieben Produktionen der Saison 2024/25 bekannt gaben?

Olivier Keller: Der Moment des Präsentierens fühlte sich dann fast ein wenig wie eine Premiere an. Man hat jetzt etwas in der Hand, das man zeigen kann. Das ist aufregend.

Patric Bachmann: Das Schöne war, dass es sowohl in Solothurn als auch in Biel viele Leute im Publikum hatte und die Bekanntgabe des Programms weite Kreise zog.

Ihr Saisonprogramm reicht von Virginia Woolfs «Orlando» über «Neue Körper am Ende der Welt», ein Stück über Spitzensport in Magglingen, bis hin zu Gianna Molinaris Roman «Hier ist noch alles möglich». Gibt es einen roten Faden, den Sie verfolgen?

O.K.: Wir haben zwei Fragen in die Programmation mitgenommen. Die erste: Wie können wir auf die zwei Städte Solothurn und Biel eingehen? Wir haben den Anspruch, dass es immer wieder Stücke geben wird, die lokal verankert und zeitgleich gesellschaftlich relevant sind. Die zweite ist die Frage nach einer zeitgenössischen Theatersprache.

P.B.: Uns interessieren tradierte Stoffe, die wir weiter bearbeiten. Etwa bei der Inszenierung von «Maria Stuart». Stephan Teuwissen schreibt hier eine Fassung, die zwar noch ein wenig nach Schiller klingt, aber zeitgenössische Fragen stellt: Was ist Rivalität, was sind Machtpositionen? Dasselbe bei «Orlando». Hier gibt es Virginia Woolfs Roman oder das Filmdrama von 1992, aber auch den ganzen «Kosmos» Virginia Woolf, der als feministisches Empowerment lesbar ist.

O.K.: Wir wollten den Fokus auf Frauen legen, die Regie führen oder als Hauptfiguren in Erscheinung treten. Weil uns bewusst ist: Wir zwei sind jetzt nicht die diverseste Leitung.

P.B.: Unser Ziel ist es, eine Arbeitsatmosphäre zu generieren, die für einen Wandel offen ist. Wir streben aber auch keinen kompletten «Neustart» an. Weil in einem Haus wie dem TOBS bereits eine Ballung an Ressourcen da ist, die wir erst gerade kennenlernen.

«Beim Theater Marie waren wir eigentlich immer bei Theaterhäusern zu Gast, jetzt sind wir Gastgeber.»
— Patric Bachmann, Dramaturg bei Schauspiel des TOBS
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Olivier Keller und Patric Bachmann sind die neuen Co-Direktoren Schauspiel von Theater Orchester Biel Solothurn. © Torvioll Jashari

Das Debüt der Schriftstellerin Gianna Molinari, «Hier ist noch alles möglich», bringen Sie als Hörspaziergang auf das Attisholzareal in Riedholz. Was hat Sie an der Romanvorlage, in der eine Nachtwächterin in einer – fast – stillstehenden Fabrik auf das Auftauchen eines Wolfes wartet, gereizt?

P.B.: Wir hatten beide Freude an der Auslegeordnung des Romans und fanden, dass der Stoff zum Areal der ehemaligen Cellulosefabrik passt. Das Gelände ist im Wandel, gerade noch steht viel leer. Das Gefühl der Nachtwächterin lässt sich hier nachempfinden: Mit welchem Blick schaut man auf Fremdes und von wem werden wir eigentlich beobachtet?

O.K.: Schon bei Theater Marie haben wir immer wieder das Bedürfnis gehabt, rauszugehen. Dann war einfach auch die Fantasie, «dass noch vieles möglich ist», die im Titel des Buches steckt, ein schöner Aufschlag für uns.

Von 2012 bis 2022 haben Sie das unabhängige Aargauer Tourneetheater Marie geleitet. Was wird sich für Sie am meisten verändern mit dem Wechsel zum Mehrspartenhaus TOBS?

P.B. : Zuerst einmal ist da eine Riesenfreude, sich mit einem Publikum über längere Zeit auseinanderzusetzen. Beim Theater Marie waren wir eigentlich immer bei Theaterhäusern zu Gast, jetzt sind wir Gastgeber.

O.K.: Und trotzdem sind es zwei Standorte, zwei Städte, die sehr unterschiedlich sind. Mich auf zwei gesellschaftliche Biotope einzulassen, macht mir Spass. Trotzdem bleibt es auch an beiden Orten einigermassen überschaubar. Man hat sehr schnell persönliche Kontakte zu Politik, Publikum oder Kulturförderung.

P.B.: Wir lernen diesen «grossen» Betrieb und seine Abläufe gerade erst kennen, das braucht Zeit. Eine Frage, die mich momentan umtreibt, ist, wie man interessierte Publikumsgruppen näher an die Stücke bringen kann. Etwa, indem wir bereits vor der Premiere Einblick in die Stückentwicklung gewähren.

O.K.: Das TOBS hat sowohl in Solothurn und Biel ein sehr treues Publikum, das das Abonnement schätzt. Was uns die Freiheit gibt, in diesem Programm eine Diversität an zeitgenössischen Formen und Ästhetiken zu suchen. Wie was funktioniert hat, darüber müssten wir in fünf Jahren sprechen.

«Wir wollten den Fokus auf Frauen legen, die Regie führen oder als Hauptfiguren in Erscheinung treten. Weil uns bewusst ist: Wir zwei sind jetzt nicht die diverseste Leitung.»
— Olivier Keller, Regisseur bei Schauspiel des TOBS
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Über den Dächern Solothurns, aber auch in Biel unterwegs: Patric Bachmann und Olivier Keller © Joel Schweizer

Katharina Rupp, die 17 Jahre lang die Schauspieldirektion innehatte und sich im Sommer 2024 verabschiedet, sagte gegenüber dem Magazin «Frida», das TOBS sei ein «Non-Stop-Laden». Hilft da eine Co-Leitung, um eine entsprechende «Non-Stop-Intensität» etwas abzufedern?

P.B.: Alle grossen Häuser sind Non-Stop-Betriebe. Mit dem einen Gedanken ist man bei einer Premiere, mit dem anderen bei einem Gastspiel. Aber ja, vielleicht ist es schon zeitgemäss, Co-Leitungen zu haben.

O.K.: Der Non-Stop-Betrieb hat sehr viel mit der eigenen Non-Stop-Identifikation zu tun, die ein solcher Beruf mitbringt. Aber das haben wir gesucht: Wir wollen zu einem Namen gehören, das haben wir auch bei Theater Marie gelebt.

Haben Sie persönliche Highlights in der ersten Saison?

O.K.: Wenn ich als Regisseur denke, habe ich den Wunsch, mich immer in das laufende Projekt zu verlieben. Jetzt beschäftigt mich am meisten unsere erste Premiere «Orlando», danach kommen die vielen Begegnungen anlässlich der «Orlando»-Aufführungen, auf die wiederum neue Projekte folgen.

P. B.: Bei mir ist es auch nicht «eine» Produktion. Es wird eher der Moment sein, in dem wir alle hinter und auf der Bühne ein Gefühl füreinander und eine gemeinsame Sprache entwickelt haben.

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