«Ja ich bin die Tochter. Der Vater ist tot.»
«Für immer alles» heisst das Romandebüt der Berner Autorin Jeannette Hunziker. Es ist das Protokoll einer Frau in den Dreissigern, die sich dem verstorbenen Vater nähert. Ihren Erstling tauft Hunziker in der Prozess Kultur und Bar.
Man kann sich die Szenerie vorstellen. Doch das, was hier wirklich gerade geschieht, wird nicht so recht fassbar: Die namenlose Protagonistin glasiert Kastanien und hat eben eine Flasche Wein geöffnet, als es an der Tür klingelt. Zwei Polizeibeamte stehen vor der Tür. Dann, auf der folgenden Seite: «Ja, ich bin die Tochter. Der Vater ist tot.» Das ist alles, was auf dem sonst leeren Blatt steht. Zu mehr als diesen nackten zwei Sätzen fehlt der Ich-Erzählerin eine Sprache, ein Gefühl und eine Geschichte. Noch.
Jeannette Hunzikers Romanerstling «Für immer alles» protokolliert die schreibende Selbstsuche einer Tochter in ihren Dreissigern. Diese setzt mit dem Tod des ihr entfremdeten, alkoholkranken Vaters ein. Das alles ist über weite Strecken im Präsens und in knappen Hauptsätzen erzählt, aber doch scheint die Gegenwart für die Protagonistin, die wie Hunziker selbst Schriftstellerin ist, nicht greifbar. Die Erzählerin bahnt sich mithilfe der Sprache tastend und in immer neuen, fragmentarischen Versuchen Wege in die eigene Erinnerung. An die gemeinsamen Ferienreisen im VW-Bus, die dem Vater gefielen, der Mutter nicht. An die Ablehnung, mit der sie dem Vater schon früh begegnet. Er, der sich für die eigene Herkunft und den einfachen Beruf schämt und der sie, die Tochter, die schulisch reüssiert, zu sehr bewundert. «Ich verachte seine Sucht, mir zu gefallen», heisst es an einer Stelle.
Und sie erinnert sich an die eigene Magersucht als Kind, den Aufenthalt in der Klinik – und den Wunsch, die nie ganz anwesenden Eltern mit sich selbst zum Verschwinden zu bringen. Die Kontrolle zu behalten. Nicht wie der Vater.
Die Erzählung der Berner Autorin über Sucht, Trauma und endlich mögliche Trauer bleibt fragmentarisch, lose, unvermittelt. Da klafft eine Lücke zwischen den Dingen und der Protagonistin, die erst lernen muss, der Welt und den eigenen Gefühlen ohne Puffer zu begegnen. Diesen (Schreib)Prozess zu dokumentieren gelingt der Protagonistin, oder besser, Hunziker, mit verblüffender Präzision. An einer Stelle heisst es: «Das Ende der Sätze kommt mir abhanden beim Schreiben. Zu schreiben: Ich beginne zu begreifen, ist das erste Eingeständnis, die Kontrolle zu verlieren.»