«Making-of»-Literatur sozusagen
Im Schlachthaus Theater wird wieder vier Tage lang gelesen, diskutiert oder Ad-hoc-Lyrik erschaffen: Während des Berner Lesefests «Aprillen» treffen sich die Autorinnen Theres Roth-Hunkeler und Laura Vogt zum generationenübergreifenden Gespräch über das Schreiben und weibliche Lebensentwürfe in der Literatur. Was ihre je neuesten Romane verbindet, ist die Frage nach den gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen – und was es bedeutet, sich davon zu befreien. Einmal in der ersten Lebenshälfte, einmal in der zweiten.
Zwei Frauen um die dreissig machen sich über Pfingsten auf ins Rheintal. Dort hat sich die gemeinsame Freundin Nora in ihrem früheren Kinderzimmer bei der Mutter verschanzt. In Laura Vogts drittem Roman «Die liegende Frau» – im letzten Jahr bei der Frankfurter Verlagsanstalt erschienen – will Nora nicht mehr sprechen. Sie schweigt und schläft. Und die zwei ungebetenen Besucherinnen, die sich kurzerhand in einem zweitklassigen Kurhotel in der Nähe von Nora einquartieren, könnten unterschiedlicher nicht sein. Romi ist mit ihrem zweiten Kind schwanger, während Szibilla davon träumt, sich die Gebärmutter operativ entfernen zu lassen. Szibilla bezeichnet Romis Abhängigkeit von Beziehungen und ihre Reproduktionsfreude als «das Gegenteil vom Sich-frei-Machen». Sie hält sich lieber an den Philosophen Théophile de Giraud, der Kinderlosigkeit propagiert, weil der davon überzeugt ist, dass die Welt ohne Menschen besser dran wäre. Ansichten prallen aufeinander. Und es bleibt die Frage: Was ist mit Nora, dieser «liegenden Frau», los?
Eine Millennial-Geschichte
Die Schriftstellerin Laura Vogt, selbst zweifache Mutter und mit ihrer Familie in der Ostschweiz lebend, hat nach «So einfach war es also zu gehen» (2016) und «Was uns betrifft» (2020) eine Millennial-Geschichte geschrieben, die sich mit Mutterschaft, Freiheit, Prägung und Selbstbestimmung auseinandersetzt.
Dabei nutzt Vogt tastende Sprachbilder, um eine radikal weibliche Perspektive herauszuschälen. Etwa, wenn die schwangere Figur Romi ihre gerade begonnene polyamore Beziehung unter die Lupe nimmt. Während sie sich vorstellt, wie sie ihrem neuen Liebhaber im Bett nahe kommt, entfernt sie sich zugleich hinterfragend und stellt fest: «Ich habe nichts gesehen, im Grunde nichts erkannt.»
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Familienleben auf dem Seziertisch
Während des viertägigen Berner Lesefests Aprillen, das vielfältiges Literaturschaffen von nah und fern aufgreift, trifft Vogt in der Reihe «Œuvres» auf die 35 Jahre ältere Zuger Autorin Theres Roth-Hunkeler. Auf der Bühne des Schlachthaus Theaters werden sich die beiden in einem generationenübergreifenden Werkgespräch über ihre Inspirationen, ihre Schreibpraxis oder «geglückte Zeilen» unterhalten. Und vielleicht auch über jene Stellen, an denen sie sich besonders abmühten? Das dürfte spannend werden. Denn auch Theres Roth-Hunkeler hat mit ihrem siebten Roman «Damenprogramm» (2023) ein feministisches Werk geschaffen, das die Romantik des Familienlebens gnadenlos seziert. Wie auch Vogt siedelte die Schriftstellerin die Handlung in ihrer eigenen Generation an.
Brutalität des Älterwerdens
Theres Roth-Hunkelers Protagonistinnen heissen Ruth und Anna und sind beide um die sechzig. Anna hat ihren Partner an einer tödliche Demenzerkrankung verloren und eine suchtkranke Tochter, die ihr zu entgleiten droht. Und die kinderlose Ruth löst sich aus einer unbefriedigenden Beziehung. Die beiden Frauen setzen sich mit der Brutalität des Älterwerdens auseinander, ohne sich unterkriegen zu lassen. «Der Körper altert stets sichtbarer, wird allmählich zu Gammelfleisch, während die Seele noch immer einer Libelle gleicht», schreibt Anna in einem Brief an Ruth. Messerscharf, liebevoll und empört zugleich erzählt Theres Roth-Hunkeler von zwei Freundinnen, die sich vorgesehenen Rollen entziehen und für sich ein «Damenprogramm» der etwas anderen Art kreieren.
Lyrik bekommt Carte Blanche
Laura Vogt und Theres Roth-Hunkeler sind nicht die einzigen, die beim Aprillen zum generationenübergreifenden Austausch zusammenfinden. Weiter treffen in der Reihe «Œuvres» die Schriftseller*innen Gertrud Leutenegger und Sara Wegmann sowie Melitta Breznik und Lukas Gloor aufeinander. Die Eröffnungslesung am Mittwoch kommt vom iranisch-österreichischen Autors Amir Gudarzi, der seinen Debütroman «Das Ende ist nah» (2023) mitbringt und darüber mit der Literaturjournalistin Esther Schneider spricht. Wer Lyrik liebt, der*die darf die sogenannten «Lyrikdialoge» nicht verpassen. Ein Format, in dem fünf Dichter*innen aus verschiedenen Sprachen und Regionen – darunter etwa die deutsche Lyrikerin und Literaturvermittlerin Carolin Callies – zusammenkommen und für jeden Festivaltag ein nigelnagelneues Programm auf Bühne bringen. Die Vorbereitungstreffen der Lyrikgruppe sind dabei für alle zugänglich: «Making-of»-Literatur sozusagen.
// Schlachthaus Theater, Bern
• Eröffnungslesung mit Amir Gudarzi: Mi., 24.4., 20 Uhr
• «Lyrikdialoge» mit Carolin Callies, Birgit Kempker, Marko Miladinović, Isabelle Sbrissa und Walter Fabian Schmid: Do., 25.4. bis Sa.,26., jeweils 18 Uhr
• «Œuvres» mit Gertrud Leutenegger und Sara Wegmann: Do., 25.4., 19 Uhr
• «Œuvres» mit Theres Roth-Hunkeler und Laura Vogt : Fr., 26.4., 19 Uhr
• «Œuvres» mit Melitta Breznik und Lukas Gloor : Sa., 26.4., 19 Uhr